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Geheul für Sade (Debord, Guy), 1952
 
 
 

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Rezeptionsseite statt, wobei in »4'33''« eine unmittelbare, physische Erfahrung die über das Radio vermittelte Erfahrung ersetzt. Alle Utopien von einer künstlerischen Nutzung der Senderkapazität des Massenmediums werden von Cage umgekehrt: Das Medium bleibt unverändert, nur unsere Wahrnehmung ändert sich. Vielleicht steht dahinter eine Ahnung von der Macht der Empfänger, die im Zeitalter des TV-Zappings und Web-Surfens immer stärker ihren eigenen Programmflussaus dem vorhandenen Rohmaterial der Massenmedien bestimmen.[19]

Kritisch-destruktive Strategie: Guy Debord und der Film

Mit knapp 20 Jahren schließt sich Guy Debord der Bewegung des Lettrismus um Isidore Isou an, auf die er durch ihren Skandal bei den Filmfestspielen in Cannes 1951 aufmerksam wird. Sein erster eigener Beitrag zum lettristischen Film wird am 30. Juni 1952 in Paris uraufgeführt, doch schon nach zwanzig Minuten wegen Publikumsprotest abgebrochen. Denn »Geheul für Sade« (»Hurlements en faveur de Sade«) zeigt kein einziges Bild, sondern nur abwechselnd die hellweiße oder völlig dunkle Leinwand des Kinos. In den hellen

 

Sequenzen sind gesprochene Dialoge zu hören, die dunklen Passagen sind ohne Ton. Erst am 13. Oktober 1952 wird durch einen Schutztrupp von Lettristen eine komplette Aufführung des eineinhalbstündigen Films erzwungen, bei dem das Publikum mit Versprechungen und Gewalt am Verlassen des Kinos gehindert wird und so auch in den Genuss des Endes mit 24 Minuten Dunkelheit und Stille kommt.[20]

Mit diesem ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritt hat Debord schon die Richtung bestimmt, die ihn dann weg vom Lettrismus und hin zu seiner Gründung des Situationismus bringt. »Die Kunst der Zukunft wird eine Situationsumwälzung sein oder sie wird nichts sein«, lautet ein programmatischer Satz aus den Dialogen im Drehbuch.[21] Zwar zeigt Debords Film ebenso wie Cages »4'33''« die Leere – aber nicht als meditativen Freiraum der Sensibilität, sondern als aggressive Verweigerung gegen jede Form des Spektakels. Diese radikale Kritik der Mediengesellschaft bildet dann den Mittelpunkt seiner Theorie der »Gesellschaft des Spektakels«, die zur Grundlage der 1968er- Bewegung wird. Sein noch 1992 erklärtes Ziel, »der spektakulären Gesellschaft zu schaden«, wird schon 40 Jahre zuvor in seiner filmischen Praxis deutlich.[22]

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