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Themenicon: navigation pathMapping und Texticon: navigation pathJenseits des Archivs
Jenseits des Archivs: Bit Mapping
Wolfgang Ernst
 

Kommen wir gleich zur Sache. In den Kulturwissenschaften wurde unlängst ein »spatial turn« ausgerufen: die Privilegierung der Kartographie. [1] Doch es gibt einen Unterschied zwischen dem kulturwissenschaftlichen Begriff des »Mapping«, der sich auf die Kartografie bezieht, und der technologischen und mathematischen Verwendung des Begriffs, die »einen Inhalt auf einen anderen abbilden« bedeutet. Machen die jeweiligen Medien, in denen das Mapping stattfindet, einen Unterschied für den Begriff des Mapping? In digitalen Operationen ist »Raum« nur eine Metapher. In der physischen Welt gibt es Raum, doch eine Karte ist nur ein Modell des Raums, nicht der Raum selbst. Dieses Modell ist kein räumliches, sondern ein logistisches und damit gleichsam an-ästhetisch: nicht für die physische Erfahrung, sondern für die Kognition, für unser mentales Computing. Warum also gibt es solch eine Fülle metaphorischer Repräsentationen im Cyber›space‹? Wegen der Benutzer, d.h. der Benutzung durch Menschen, da die menschliche Fähigkeit zur Datennavigation an raumzeitliche Metaphern gebunden ist, während die Kommunikation zwischen Computern,das Operieren in diskreten Zuständen, nicht auf Mapping-Metaphern angewiesen ist.

Terminologie

Ich möchte darauf insistieren: Bei dem Begriff »Cyberspace«, den William Gibson 1984 in seinem Roman »Neuromancer« prägte, geht es weniger um ›Raum‹ (der hier ein metaphorischer Begriff ist) als um Kybernetik; die Tatsache, dass »Cyber« sich aus Norbert Wieners »Kybernetik« ableitet, ist heute ein vergessenes medienkulturelles Faktum. Der Cyberspace ist nicht kartografisch, sondern topologisch verfasst; wir sollten ihn besser als »cybertop« bezeichnen (analog zu Michael Bachtins Wortschöpfung »chronotop«). Jede 3DNavigation auf Interfaces reduziert die n-dimensionale Potentialität des Cyperspace auf klassische räumliche Metaphern. Karten befinden sich immer auf planen Oberflächen, je nach ihrem materiellen Einschreibungsträger; doch die entscheidende Eigenschaft der digitalen Kalkulation ist ihre potentielle n-Dimensionalität. Wenn es um das Computing geht, ist die Mapping-Metapher verführerisch, doch sie führt in die Irre. Erinnern wir

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uns: Das Mapping wurde nicht aus ästhetischen, sondern aus militärischen und landwirtschaftlichen (buchstäblich kulturtechnischen) Gründen erfunden. Die Kybernetik, andererseits, steht in Wirklichkeit im Gegensatz zu räumlichen, kartografischen Metaphern. Der antike griechische »kybernetes« (Steuermann) steuert nicht Fahrzeuge auf festem Grund, sondern vielmehr ein Vehikel auf dem flüssigen Element. Freies Gleiten also – sei es das offene Meer oder der offene Himmel, und nur in diesem Fall haben wir es mit »l´espace strié de type métrique et pulsé« zu tun, wie er von Deleuze/Guattari in »Mille Plateaux« beschrieben wird. [2] Digitale Navigationssysteme (GPS) beginnen die festgelegten traditionellen Karten zu ersetzen; Dynamik ersetzt Starrheit. Die Naviagtionsmetapher selbst impliziert das Meer, das der Kartografie trotzt (kein Territorium; eher Zufall). Vergessen wir nicht, dass Norbert Wiener 1948 seine Theorie der Kybernetik entwickelte, damit die Artillerie am Boden Bewegungen der feindlichen Luftwaffe vorhersagen konnte. Die Flugbahn einer ballistischen Rakete (wie sie in Thomas Pynchons Roman »Die Enden der Parabel« beschrieben wird) istkeine Funktion des Raumes mehr, sondern eine Funktion von numerischen Tabellen; tatsächlich korrigiert eine Rakete ihre Flugbahn mit Hilfe dieses Informationsfeedback. Topologische Operativität ist nicht multi-sensuell, sondern streng mathematisch, eher prosaisch als poetisch. Der wirkliche »Mapping-Blick« (Buci-Glucksmann) [LI] ist ein theoretischer Blick. Obwohl der Begriff »Theorie« ursprünglich mit dem theatralischen Sehen in Verbindung steht, bedeutet er in diskursiven Kontexten Abstraktion; in unserem Zusammenhang bedeutet Abstraktion Mathematisierung. So wie die Renaissanceperspektive für die bildenden Künste, waren Mapping und Kartografie der erste Schritt bei der Abstraktion vom physischen Raum, indem sie ihn symbolisch und gemäß den Gesetzen der Geometrie darstellten. Doch das ganze Modell basiert dennoch auf Referentialität, d.h. auf Karten, die reale oder imaginierte Territorien darstellten. Tatsächlich gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen der Darstellung geografischen Raums und der räumlichen Visualisierung von Daten (genauso wie zwischen dem Informationssystem »Media Art Net« und genuin im

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The Legible City (Shaw, Jeffrey), 1988IO_dencies (Knowbotic Research), 1997

Internet angesiedelter Kunst). Es ist ein entscheidender Unterschied, ob Medienkunst online repräsentiert, in einem Verzeichnis aufgenommen und damit gemappt wird oder ob das Internet selbst das Material für künstlerische Arbeit wird, wie etwa die Kunst, welche mit HTML-Code produziert wird und ASCII-Symbole des Quellcodes von Homepages benutzt. [3]

Mapping als visuelle Metapher

Mapping ist die Erzeugung visueller Metaphern für die Darstellung von Information [4] , ein Werkzeug zur Reduzierung von Datenkomplexität, was im digitalen Zeitalter bedeutet, das Alphanumerische auf das Visuelle zu mappen. Die »Aspen Movie Map«, die 1978 durch die von Nicholas Negroponte geleitete MIT Architecture Machine Group entwickelt wurde, beruhte noch auf dem Input von Fotografien, die Orte im realen Aspen, Colorado, zeigen; das hieraus resultierende Interface ist daher eine Metapher (oder vielmehr Simulation) von Bewegung im realen Raum. Jeffrey Shaws »Legible City« (1988) errichtet urbane Archtektur mittels Buchstaben und macht Raumdaten so zu symbolisch lesbaren Daten; doch diese Ästhetikdes navigierbaren Raums basiert auf der Idee einer Ästhetik oder gar Ethik des Virtuellen, derzufolge virtuelle Welten eine Erinnerung an ihr korrespondierendes Pendant in der realen Welt behalten und diese Aura neu codieren sollen. [5] Doch wenn überhaupt etwas vom virtuellen Raum in der realen Welt verwurzelt ist, dann ist es die Materialität der Rechenvorrichtung selbst; [6] 3D Räume reflektieren stets autopoetisch das grafische Potential von SGI Workstations. Wenn es hier wirklichen Raum gibt, dann in der Hardware- Architektur. Handelt es sich beim Verdrahten von Microchips bereits um »Mapping«? Beim Programmieren bedeuten Flowcharts sicherlich Diagramme; doch der Autobooting- Mechanismus, der es Computern überhaupt erst ermöglicht zu starten, ist »in Silizium gebrannt und bildet so einen Teil der Hardware«. [7]

Ein alternatives Modell wurde von der Medienkunstgruppe Knowbotic Research mit der Idee einer online Nicht-Verortetheit entwickelt. Ihr »IO_dencies« Projekt für den Wiederaufbau eines Tokyoter Viertels ist eine datenumwölkte Herausforderung für das Mapping-Paradigma. Wirklich

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Wegzeit (Offenhuber, Dietmar), 2000

kybernetische Architektur, die vom Inneren des Mediums Computing her gedacht ist und sich nicht primär auf das Interface-Design bezieht, repräsentiert nichts mehr – oder vielmehr, nur für die menschlichen Sinne, remetaphorisiert in ein Interface-Design. Das Digitale ist weder zwangsläufig an räumliche oder humanoide Metaphern gekoppelt, noch ist es an Vertikalität oder Horizontalität gebunden wie der menschliche Körper (das theatralische Paradigma der »Computer als Theater«, Brenda Laurel zufolge). Lev Manovich verweist auf den Unterschied zwischen isotropem Raum, der mathematisch, kartesianisch, logisch ist, und anthropologischen, relativen Begriffen des Raums (siehe »Wegzeit« von Dietmar Offenhuber [8] ); die meisten Cyberspace-Interfaces oder Computerspiele versuchen diesen Unterschied ungeschehen zu machen. Doch warum soll man aus einer medienarchäologischen Perspektive nicht einerseits diese Differenz zwischen Mensch und Maschine beim Schnittstellen-Design hervorheben und andererseits zu einer Medienkultur gelangen, die (mit Alan Turing) anerkennt, dass die Logik des Computing der menschlichen Intuition nicht fremd ist, sondernvielmehr die menschliche Kognition selbst als eine mathematische Maschine entdeckt?

Mapping als mathematische Topologie

Noch einmal: Der Cyberspace ist im Grunde raumlos oder vielmehr eine Medientheoretisierung des Raums. Er ist rein relational und so unter dem Gesichtspunkt des Mapping nicht repräsentativ. Geometrien sind nur aus Menschensicht ikonisch, weil sie, wie Martin Dodge und Rob Kitchin hervorheben, für ihre Orientierung von visuell greifbaren Referenzen abhängig sind. [9] Tatsächlich ist Cyberspace ein metaphorischer Ausdruck für vernetztes Computing, das von der sogenannten »Matrix« (Gibson), einer cartesianischen Datenlandschaft, beherrscht wird. Entscheidend für die cartesianischen Raster ist die Tatsache, dass die seit der Antike üblichen mnemotechnischen Bilder durch Zahlen auf den horizontalen und vertikalen Achsen ersetzt werden. »Mapping« soll daher zeitgemäss in einem mathematischen, topologischen Sinne aufgefasst werden, um nicht imaginäre (ikonische) mit symbolischen (indexikalischen) Operationen in kybernetischen Aggregaten und

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physikalischen Netzwerken zu verwechseln. »Jede Karte könnte eine Gedankenreise sein, die eine Passage und ein Territorium miteinander verbindet« (Christine Buci-Glucksmann) [LI], doch diese hübsche Metapher verwechselt Karten mit etwas, das sie nicht sein können: dem freien Gleiten von Information. Nur Computing vermag Trajektorien tatsächlich in einer n-dimensionalen Kalkulation durchzuführen.

Die wirklich relevanten Karten sind immer versteckt worden, geheimgehalten von den Machtinstanzen, so wie die Quellcodes hinter den den Cyberspace betreffenden Interface- Metaphern für ›Navigation‹. Aus medienarchäologischer Sicht geht es im Cyber›space‹nicht um Bilder, Töne oder Texte sondern um Bits; daher ist der kartografische oder mnemotechnische Ansatz irreführend. Das virtuelle Mapping ist eine Funktion der mathematischen Topologie. Der Cyberspace ist kein neuer Gedächtnisort, sondern die Transformation von lieux de mémoire in Knoten und Netze. Nicht mehr an physische Orte gebunden (es sei denn: die Server), existieren die virtuellen Adressen lediglich in mathematischen Topologien. [10]

Digitales Mapping

Das digitale Mapping eröffnet neue Horizonte für Suchoperationen im »Media Art Net«. Statt weiterhin das Adressieren und Verlinken von Bildern nur vermittels des Alphabets zu leisten (Suchbegriffe) und damit erneut die Bilder und Töne den Worten und äußeren Meta-Daten unterzuordnen (das archivalische Klassifikationsparadigma), können digitale Bilder bis zum einzelnen Pixel hinunter, in ihrem eigenen Medium adressiert werden. Dies ermöglicht selbst eine Zufallssuche, eine scheinbare Unordnung als alternative Informationsökonomie: die Generierung des Unerwarteten. Statt einfach nur Datenbanken zu mappen, kann man Computer verwenden, um neue Kartentypen herzustellen, die früher unmöglich waren, etwa Scans von Objekten, die auf der Grundlage ihrer formalen Ähnlichkeit zu Netzwerken organisiert werden. Solange sich das »Media Art Net« als rein verbale Kontextualisierung von Gegenständen im Internet definiert, spiegelt es McLuhans Gesetze zufolge ein altes Medium im neuen wider (der Inhalt eines neuen Mediums ist immer das vorausgegangene);

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es hält konservativ am archivischen Paradigma fest, das auf Inventaren und verbalen Verknüpfungsstrukturen zwischen Dateien basiert. Wir wollen stattdessen versuchen, digitale Daten an-archivisch zu begreifen.

Suchmaschinen als Agenten des Mapping (das generative Archiv) konfrontieren uns mit dem Unterschied zwischen Browsen und Suchen. Mit Hilfe von Hyperlinks durch das Web zu kriechen unterscheidet sich von zielgerichteten Suchoperationen. Karten ohne textuelle Anmerkungen nützen den meisten Usern nichts. Was die Text/Bild-Relation beim Suchen-als-Mappen angeht, besteht die technische Option nicht mehr ausschließlich darin, Bilder dem Alphabet zu unterwerfen. Zunehmend werden nun grafische Suchvorrichtungen auf Karten verwendet (im Gegensatz zur Subjekt-Klassifikation des »Media Art Net«, das nach wie vor der enzyklopädischen Ordnung folgt). Die ›ikonoklastische‹ Option ist eine zufällige audio-visuelle Suche nach Links (kraft Ähnlichkeit, kraft digitaler Assoziation, Konnektivismus, Fuzzy Logic). Welches ist das Modell: die antike ars memoriae (die räumliche Ordnung der Bilder) oder das Archiv (nicht-visuell,logistisch, datengestützt)? Frühe Kataloge und Inventare von Kunstwerken im 17. Jahrhundert ordneten Kunstwerke nicht gemäß intrinsischen (Kunstgeschichte«, Malerschulen), sondern rein äußeren Werten: im Realraum platziert (an den Wänden einer Sammlung), nach Formaten – reine Speicherökonomie. Die CD-ROM ist ein zeitgenössosche Form solchen nicht-linearen Katalogisierens. [11] »Medienkunst muss auf multimediale Weise übertragen werden« (Dieter Daniels und Rudolf Frieling in ihrem [LI]), da sie per definitionem zeit-basiert oder prozess-orientiert ist. Es gehört zu dieser Spezifizität, dass sich digitale audio-visuelle Daten bis hinunter zum kleinsten Sample/Bit/Pixel adressieren (= kontrollieren) lassen; und so zu neuen Suchoptionen mit verschiedenen Zugangspunkten führen. [12]

So gelangen wir zu einem buchstäblichen Bit Mapping. »Bilddateien enthalten im Grunde eine bit map; das ist eine lange Kette von Bytes […], von denen jedes einen individuellen Pixel des Bildes beschreibt. […] Wir können einige Hinweise auf die Bildstruktur und –Semantik ermitteln (so können wir etwa sämtlich Kanten in einem gebitmappten Bild finden)« (Lev

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Manovich). [13] Somit ist – als Alternative zu Metadaten – ein »Infra-Datieren« möglich, das Extrahieren von Daten aus dem Inneren des Bildes oder der Klangdatei selbst. Dies ermöglicht die Verwaltung von gebitmappten Datenobjekten, die untereinander nicht-linear verbunden, doch zugleich Teil eines arbiträr komplexen Netzwerkes transkribierter Informationen sind. [14] Zwischen der klassischen Text-Bild Dichotomie entdecken wir das bitmapped token.

Dynamische Operativität

Das entscheidende Merkmal vernetzten Computings ist seine dynamische Operativität. Michel de Certeau unterscheidet bereits zwischen Karten und Touren; [15] Raum ist also ein Schnittpunkt mobiler Elemente, während Touren buchstäblich diskursive Reihen von Operationen sind. In den elektronischen digitalen Medien bedeutet Mapping dynamische Bewegung »im Flug« als eine neue Eigenschaft. Klassische Karten sind weder interaktiv noch zeit-kritisch (kein Feedback). Die digitale Ordnung aber kann mit Zeit selbst umgehen, als Mapping von zeitlichen, dynamischen, prozessualen Operationen, die traditionelle von elektronischenKunstwerken unterscheiden. Statische Karten unterscheiden sich von dynamischen Karten im virtuellen Raum, da sich dynamische Karten automatisch aktualisieren lassen (wirklich »datierte« Karten). Trace routers sind keine räumlichen, sondern zeitliche Scouts. [16] Doch Mapping-Zeit ist überhaupt kein Mapping, sondern Sequentialisierung, so wie a/synchrone Online-Kommunikation. Jede räumliche Darstellung dieses Prozesses kann nur metaphorisch sein – oder ist sie in der Lage, eine zeitliche Folge auf einen Blick zu zeigen? Sichtbarkeit ist der bevorzugte Informationskanal seit der Antike und privilegiert damit die zweidimensionale Darstellung; insofern behält Gotthold Ephraim Lessing recht, der 1766 in »Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie« mediensemiotisch erklärte, die bildenden Künste gehörten zur räumlichen Wahrnehmung, die linearen literarischen Künste hingegen zur zeitlichen. In seiner Antwort auf René Magritte (»Dies ist keine Pfeife«) insistierte Michel Foucault ebenfalls auf einer Trennung von Sichtbarem und Lesbarem. Buci-Glucksmann deutet Karten als lesbar und sichtbar zugleich, als einen Bild-Index – ein Hybrid? [17]

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Schon der Begriff Territorium, der als Referent für jede Karte dient, bevorzugt räumliche gegenüber der dynamischen Wahrnehmung (obwohl der lateinische Begriff »imperium« ursprünglich nicht ein Reich, ein Territorium meinte, sondern vielmehr die Ausdehnung, die Reichweite der Kommandogewalt, die technisch von den Kommunikationswegen und –kanälen, Straßen, Postsystemen, abhängig war). Daher vernachlässigt der »Mapping-Blick« die zeit-basierten Medien, d.h. die in der von Neumann’schen Computerarchitektur vertraute sequentielle Datenverarbeitung, die ihren operativen, zeitlichen Charakter zugunsten räumlicher Bilder, Karten verhehlt. Des weiteren vernachlässigt das kartografische Paradigma akustische Optionen der Navigation in Datenmengen (ein Plädoyer für Sonifikation, der den Klang selbst in seiner zeit-basierter Ästhetik als Darstellungsform von Daten entdeckt). Bleibt die Frage: Gibt es Objekte, die sich überhaupt nicht mappen lassen? Wie steht es um die ›Mapping-Zeit‹? Wie um die Option eines wirklichen ›Mappens von Ton‹ mittels akustischer Signale (gegen die Vorherrschaft des Optischen über das Akustische)? Das akustische Mapping würde sich auf die›Mapping-Zeit‹ beziehen. Klang wird bereits genutzt, um dem Internet eine akustische Gestalt zu verleihen, eine Alternative zu den Ikonen. Da das Internet dynamisch, prozessual ist, lässt es sich leichter akustisch mappen als visuell. Heinz von Foerster hat einmal »die gewaltige Aufgabe« benannt, »eine nahezu unbeschränkte Vielfalt von Signalen in wenige Verhaltensmodi zu mappen«. [18]

Heterotopien

In seinem Essay über »andere Räume« (Heterotopien) erklärte Michel Foucault, das 19. Jahrhundert habe sich vor allem mit der Zeit befasst, während das 20. sich mit dem Raum beschäftige. Doch das 21. Jahrhundert wird sich mit Topologien auseinandersetzen: Mathematik, Vektorisierung des Raums, gebunden an die Materialität von Kabeln, Synapsen, Schaltkreisen, Prozessoren, Molekülen. Foucault räumte schließlich diese Implikationen des Computing ein. [19] So gelangen wir zu n-dimensionalen Datenwolken: einer vollständigen Geometrisierung und Mathematisierung aller bisherigen metaphorischen »Archäologien des Wissens«.

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Immanuel Kant identifizierte seinerzeit das »mathematische Erhabene«; heutzutage korrespondiert die Visualisierung von Daten mit dem digitalen Erhabenen, indem sie das (uns Menschen) Unsichtbare der digitalen Datenverarbeitung sichtbar macht (Lev Manovich). Kunstwerke wie »Polar« von Carsten Nicolai und Marko Peljhan (1991) beziehen sich auf den sich wandelnden Prozess der unsichtbaren Information und greifen dabei eine Idee aus »Solaris« von Stanislav Lem (1972) und der Filmfassung von Andrej Tarkovskij auf. Darin spiegelt der »Ozean«, eine meeresartige Substanz auf dem unbekannten Planeten Solaris, menschliche Gefühle, Wünsche und Gedanken figurativ wider. Auch das Medienkunstwerk von Lisa Jevbratt stellt Infoästhetik dar, die Verräumlichung von Datenströmen im Internet. Die heutige Wiederbelebung des Mapping bedeutet »Realzeit-Dynamisierung von Datenstrukturen einschließlich der Fähigkeit, Informationen im Verhältnis zur Entscheidung und dem Interesse des Benutzers neu zu organisieren« [20] – die Qualität von Informationen durch algorithmische Kalkulationen, wie auch die zeitliche Segmentierung von Videoaufzeichnungen. Dies führt zur interaktiven Karte,der zeitlichen Konfiguration von Karten (was ein wenig der schon erprobten situationistischen »Psychogeografie« ähnelt). Im Rahmen der Podiumsdiskussion »Mapping the World«, die Teil des Medienkunstfestivals Transmediale 03 war, das im Februar 2003 in Berlin stattfand, erläuterte Dietmar Offenhuber die Alternative zwischen Repräsentation (ikonische Links zur realen Welt) und Diagrammen (wirkliche Computerästhetik, numerische Abstraktion statt der ständigen Wiederholung früherer Medien wie Karten) für Werke mit Datenvisualisiserung (Mapping). Sein Werk »Wegzeit« zeigt die Geometrie relativer Distanz, eine asymmetrische, nicht-euklidische Geometrie, Ambiguitäten hinsichtlich der Raum/Zeit-Distanzen; es geht hier um die relative raumzeitliche Dynamik selbst, um zeit-kritische Performanz (etwa Verkehrsphasen innerhalb des Umschaltens von Ampeln in Städten). Der Mensch ist darin ein sich bewegender Punkt, der in einem Netzwerk von Gesetzen und Regeln gesteuert wird, die stärker sind als er selbst (Foucault).

Svetlana Alpers zeigte in ihrem Text über den kartografischen Impuls in der Holländischen Malerei,

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dass die Karte der Niederlande, die in Vermeers Gemälde »Allegorie der Malerei« im Hintergrund zu sehen ist, weniger rhetorisch als »deskriptiv« zu verstehen ist – eine Funktion der geometrischen Instrumente des Mapping. [21] Die Darstellung imperialer Räume war immer symbolisch motiviert [22] , die Ausgabe der »Cosmographia« von Petrus Apianus aus dem Jahr 1546 enthielt Beispiele eines Kartenentwurfs, die zeigen, wie nahe die europäische Kartografie zu dieser Zeit bereits dem Ziel statistischer Grafik gekommen war. Aber es gab noch nicht die Praxis quantitativer Abstraktion, welche statt des Namen einer Stadt eine gemessene Quantität auf der Oberfläche der Karte am Schnittpunkt der Koordinaten platziert hätte [23] ; es gibt eine lange Tradition des kulturellen Widerstands des Imaginären im Gegensatz zu symbolischen Operationen mittels Zahlen. Nicht-referentielles Mapping bedeutet, Objekte in Relationen zu setzen (der französische Physiokrat François Quesnay schuf 1758 seine erste Karte »Tableau Économique«). »Karten konstruieren die Welt, sie reproduzieren sie nicht.« Ist das Mapping im Vergleich zur mathematischen Topologie eine Metapher? Versuchen wir uns an einempräzisen Begriff des Mapping, der aus der Kartografie abgeleitet ist, auf die mathematische Topologie übertragen wurde und jetzt unter einem metaphorischen Wiedereintritt ins Reich der Verbildlichung leidet.

Karten und Diagramme

Sprechen wir über das Mapping oder über Diagramme? [24] Über Kartografien oder das Rhizom (Deleuze/Guattari)? Das cartesianische »Cogito« basiert auf einem Raster – einem Raster, welches das Grundprinzip der Neuzeit ist. Der Drang zu mappen korrespondiert dem sehr abendländischen Drang zum Überblicken, Überwachen und zur Datenkontrolle. Alphonse Bertillon [25] dachte einmal daran, die Fotografie im Archiv einzubetten; Francis Galton suchte das Archiv in die Fotografie einzubetten. Beide mappen allgemeine Parameter für den bürokratischen Umgang mit visuellen Dokumenten [26] ; das Mapping dient der Macht. In »Hermes« (1964) beschreibt Michel Serres moderne Kommunikationsnetzwerke (»Penelope«) als eine kombinatorische Topologie mit nicht-linearen, nicht-hierarchischen netzartigen

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Diagrammen, die Feedback-Optionen enthalten. Das zugleich attraktive und verwirrende an Buci-Glucksmanns Text »Die kartografische Sicht des Virtuellen«, ist eine gewisse Unentschlossenheit hinsichtlich der Frage, ob Karten und Diagramme deutlich voneinander unterschieden werden müssen oder austauschbar sind. Ein Diagramm ist nicht »bereits an sich eine Karte oder ein Überlagerung von Karten«, sondern ein genuin anderes epistemologisches Werkzeug. Die Leibnizsche Verbindung zwischen numerischen Kontinuen und morphogenetischen Formen unterscheidet sich grundlegend von Repräsentationswerkzeugen wie Karten. Pfeile, Vektoren und dynamische Kräfte können in der Malerei dargestellt werden (wie dies Paul Klee tat), aber nur innerhalb der rechnenden Maschine können sie wirklich operieren – was uns auf den Begriff der »diagrammatischen Ikonizität« bringt, von Charles S. Peirce geprägt (der selbst praktizierender Kartograf war). Peirce unterteilt die Oberklasse von »Icons« in drei Unterabteilungen: »Bild«, »Diagram« und »Metapher«. Unter dem Gesichtspunkt dieser Analyse wären Karten Diagramme, da sie keine»einfachen Eigenschaften« ihrer Referenten reproduzieren, sondern »die Relationen […] der Teile einer Sache durch analoge Relationen in ihren eigenen Teilen« [27] repräsentieren. »Das Diagram repräsentiert nicht nur die verbundenen Korrelate, sondern auch, und wesentlich definitiver, die Relationen zwischen ihnen, gemäß der Zahl der Objekte.« [28] Für Peirce ist das reine Diagramm einfach zu dem Zweck entworfen worden, die Form der Relation intelligibel zu machen. Das Diagramm entspricht der auf der Statistik basierenden Karte im Gegensatz zu Karten, die auf referentieller Repräsentation beruhen.

Datenströme hinter den Metaphern

Der Begriff des Mapping meint (außer wenn er in seinem streng mathematischen Sinne als Spiegelung einer bestimmten Datenmenge auf eine andere verwendet wird) Metaphorisierung als Visualisierung, wohingegen die medienarchäologische Idee des Diagramms konzeptionell statt visuell, topologisch statt geografisch, nicht-narrativ (daten-basiert) statt narrativ, konnektiv statt räumlich ist, sich mit dem Code (Software) befasst statt mit Bildern, mit Zahlen

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statt mit sinnlicher Wahrnehmung. Die visuelle Zurschaustellung quantitativer Information (oder quantifizierbarer Information) ist ein Neben-Produkt der cartesianischen Modernität; die Verwendung abstrakter, nicht gegenständlicher Bilder, um Zahlen zu zeigen, ist eine überraschend neue Erfindung (Edward Tufte). Wir benutzen nach wie vor räumliche Mataphern für die Darstellung kybernetischer Prozesse. Warum sollte man dem User nicht beibringen, die Computation ohne solche Umwege an den Daten zu vollziehenen, wie es beim Datamining bereits praktiziert wird? Der Begriff des ›net‹, gelesen vor dem Hintergrund des zum Vorschein kommenden Internets, hat als Metapher Karriere gemacht. Doch hinter dieser romantischen Oberfläche verbirgt sich der wirkliche Datenstrom, der von IP-Protokollen abhängt. Soll das Internet phyisch oder logisch visualisisert werden? Selbst in der virtuellen Kommunikation gibt es nach wie vor Hardware, die sich nicht auf symbolische Operationen beschränken lässt; die Internet-Topolgie ist eine Struktur physischer (nicht virtueller) Links zwischen Knoten. [29] Es gibt einen Unterschied zwischen Repräsentationen des Internet als einemKommunikationswerkzeug (logische Knoten) und einem Mapping des Internets, das seine physischen Knoten (Kabel usw.) zeigt. Internet-Ingenieure fokussieren ihr Augenmerk mehr auf logische Verbindungen als auf Fragen der menschlichen Kommunikation; eine Karte solcher Verbindungen ist kein räumlicher Begriff.

Nehmen wir also das digitale Paradigma als eine analytische Basis, bei dem das Mapping als dynamische Operation an die Stelle festgelegter archivischer Klassifikation tritt. Jenseits der kartografischen Metapher bedeutet Mapping das In-Relation-Setzen von Daten. [30] Wir wollen den Begriff des »Mapping« von dieser Metapher befreien und ihn stattdessen remathematisieren – die genuin medienarchäologische Perspektive.

Übersetzung: Nikolaus Schneider [31]

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