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Thaddeus Cahill »Telharmonium«
Thaddeus Cahill, »Telharmonium«, 1906
© Thaddeus Cahill
Spieler am Spieltisch des Telharmoniums in der Telharmonic Hall.


 
Thaddeus Cahill »Telharmonium«Thaddeus Cahill »Telharmonium«Thaddeus Cahill »Telharmonium«

Kategorien: Audio Art

Schlagworte: Apparat | Musik

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icon: authorGolo Föllmer icon: authorJulia Gerlach »Audiovisionen. Musik als intermediale Kunstform« | 2


New York | USA
 

 Thaddeus Cahill
»Telharmonium«

Thaddeus Cahills Telharmonium, die weltweit erste komplexe Klangsynthesemaschine, wurde so genannt, weil die damit produzierten Harmonien über Telefon ›vertrieben‹ wurden; eine andere Bezeichnung lautete Dynamophon, weil die Klangerzeugung über Wechselspannungs-Dynamos geschah — wie in einem Elektrizitätswerk, das nicht mit nur einer Wechselspannungsfrequenz von 50 oder 60 Hz arbeitet, sondern eine große Palette verschiedener Frequenzen zugleich erzeugt. Cahill adoptierte das Prinzip der synthetischen Klangerzeugung aus Herrmann von Helmholtz' Epoche machender Schrift »Die Lehre von den Tonempfindungen« (Herrmann von Helmholtz: »Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik«, Braunschweig 1863). Er konstruierte riesige dampfbetriebene Wechselspannungsoszillatoren, deren genau abgestimmte Schwingungszahlen nach Helmholtz' Entdeckung mit Hilfe elektrischer Mischapparaturen zu verschiedensten Klangfarben kombiniert werden konnten. Die zweite Idee, um die Cahill das Konzept des Telefonkonzerts erweiterte, stammt aus Edward Bellamys 1888 veröffentlichtem Science Fiction »Looking Backward« (Edward Bellamy: »Looking Backward. 2000–1887«, New York 1960). Vermutlich unter dem Einfluss von Berichten über die ersten Telefonkonzerte beschreibt der sozialreformerische Autor darin eine Welt im Jahr 2000, in der alle Bewohner unter anderem den Komfort besitzen, zig verschiedene Programme anspruchsvoller Musik zuhause auf Abruf hören zu können. Der Clou dabei ist, dass die Musik immer auf die Tageszeit und auf die Art des Wiedergaberaums abgestimmt werden kann.
Cahill realisierte als erster ein Vermarktungskonzept für Musik, das speziell auf bestimmte kommerzielle und private Orte, auf die jeweilige Klientel sowie auf Tageszeiten abgestimmt ist (Reinold Weidenaar: »Magic Music from the Telharmonium«, Metuchen, NJ, 1995, S. 75). Thaddeus Cahill entwickelte Pläne, Restaurants, Saloons, Hotels, Schulen, Zahnarztpraxen und Friseursalons jeweils verschiedene Abonnement-Tarife für die Beschallung mit Telharmonium-Musik zahlen zu lassen, Kirchen sollten umsonst versorgt werden. Später sollten auch öffentliche Orte wie Parks und Straßen beschallt werden, und auch an neue musikalische Genres wie z.B. eine spezielle Schlafmusik wurde gedacht. Insbesondere war auch vorgesehen, Fabriken derart mit Musik zu beschallen, dass die Arbeiter zu höheren Leistungen motiviert werden.
Das Telharmonium war 1906, im Jahr der Inbetriebnahme in New York, zuerst ein immenser Erfolg mit vielen Hotels, Restaurants etc., aber auch einigen Privatleuten (erster privater Abonnent war Mark Twain). Es scheiterte jedoch nach kurzer Zeit an technischen und finanziellen Problemen. Die Instrumente wurden zerstört, Tonaufnahmen sind nicht überliefert.

 

Golo Föllmer