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Günther Selichar
»Exposures«
Selichars jüngste Fotoserie mit dem Titel »Exposures« (seit 2002) widmet sich einer weiteren Komponente von Geräten bzw. apparativen Installationen elektronischer Bildmedien: Den Lampen zur Be-/ Ausleuchtung jener Motive oder Orte, die für eine Aufnahme ausgewählt wurden. Häufig handelt es sich um Halogenlampen, wie sie in Video- oder Filmkameras, Camcorder und andere Aufnahmegeräte eingebaut sind. Diese Lichtquellen wurden in aktivem, also leuchtendem Zustand in Farbe fotografiert. Auch hier ist der Gerätekontext nicht erkennbar, da die angrenzenden, knapp angeschnittenen Gehäuseteile aufgrund der Überstrahlung lediglich als schwarzer Umraum ohne Binnenzeichnung erscheinen. Die meist kreisrunden Leuchtkörper wirken daher wie freigestellt bzw. wie helle Figuren auf einem quadratischen, dunklen Grund. Was darin – in größtmöglicher Abbildungsschärfe – sichtbar wird, sind die unregelmäßigen, knotenartigen Zentren dort, wo die eigentliche Lichtquelle, der Lampenkolben, sitzt; Weiters Schattentäler oder grau nuancierte Höfe um diese Mittelpunkte, die sich in erstaunlich verschiedenen Formen auf den sphärisch gewölbten, in Weiß erstrahlenden Reflektoren ausbreiten. Was jedoch – buchstäblich – vor allem anderen in den Blick kommt, sind die Oberflächen jener transparenten Streuscheiben, die die Lampe zum Schutz bedecken sowie durch ihre Unebenheiten das durchfallende Licht streuen. Durch sie erscheint am Foto alles dahinterliegende gefiltert: Je nach der Beschaffenheit der Scheibenoberfläche leicht verschwommen oder schemenhaft aufgelöst (wie bei einem Blick ins Badezimmer durch geriffeltes Glas). Da der Fokus genau auf die Ebene dieser Streuscheiben scharf gestellt wurde, lassen sich mitunter auch deren Unebenheiten selbst erkennen. Damit zeigt sich eine weitere Variante einer Kollision von »Medien« (in mehrerlei Bedeutung des Begriffs).
Abgesehen von seinen bildästhetischen Reizen erschließt das Sujet im Zusammenspiel mit dem Titel eine Vielzahl mediensoziologischer und -theoretischer Themenstellungen. Der englische Terminus exposure deckt ein weitläufiges Begriffsfeld ab, das u.a. folgende Bedeutungen umfasst: Die Aufnahme, der Aufschluss, das Ausgesetztsein, das Aussetzen, die Beanspruchung, die Bestrahlung, die Bloßlegung, die (Strahlen-)Einwirkung, die Enthüllung, die Entlarvung, die Exposition, die (Film)Belichtung, die Freilegung, der Kontakt. Damit sind zum einen aggressive, konfrontative und investigative Aspekte der massenmedialen Kultur angesprochen, wobei sowohl eine bewusste und freiwillige Aktivität sowie deren Effekte auf der Opferseite zum Ausdruck kommen.
Zum anderen beschreibt der Begriff wesentliche physikalisch-chemische Vorgänge der fotografischen Bildproduktion (und davon abhängiger Medien). Im weiteren Sinne verweist die Serie »Exposures« auf eine elementare Grundlage jeder bildlichen Repräsentation bzw. Mediatisierung, denn Licht ist bereits auf der Ebene visueller Wahrnehmung die Voraussetzung von Sichtbarkeit. Wie schon bei den »Screens, cold« trifft Selichar in seiner Arbeit an einem unmittelbar greifbaren, alltäglichen Motiv einen komplexen Schnittpunkt von Diskursen und Parametern.
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Besonders in den »Exposures« werden – neben den erwähnten politischen Aspekten der Medienkultur – bestimmte Bedingungen des Darstellungsmediums selbst reflektiert: So führt Licht bei starker Einstrahlung auf das lichtempfindliche Material zur Auslöschung des Bildes, zu weißen »Leerstellen« oder Löchern in der fotografischen Darstellung. Die konzentrischen Formen der Leuchtkörper verweisen auf Linsen oder Blendenöffnungen, während das häufig (fast) quadratische Bildformat an eine schwarze Box, vielleicht sogar an eine Camera obscura, denken lässt. Jedenfalls aber wirken diese Lichtquellen im Bild auch wie Pforten, Durchlässe oder Tümpel. In dieser Mehrweg-Lesbarkeit, als Motive sowohl des Aufnehmens wie auch des Ausstrahlens, sind diese Lichter ebenfalls »Medium« im ursprünglichen Sinne des Wortes (griech. metaxü... dazwischen). Dass es Selichar wirklich um (künstliches) Licht geht – und nicht um ein archivarisches Sammelsurium verschiedener Leuchtkörper-Objekte – zeigt sich übrigens deutlich an seinem Aufnahmeverfahren als sorgfältig geplante Studioarbeit. Seine gezielten Versuchsanordnungen schließen dabei bewusst viele Zufälligkeiten aus, wie etwa die ursprünglichen Größendimensionen der Objekte . Stattdessen kann man in seinen »Exposures« etwa die beiden physikalischen Lichttheorien verbildlicht sehen: In jedem Beispiel finden sich weiße Abstrahlungen (»Welle«) und gleichzeitig mehr oder weniger unscharfe, grau-trübe Partikel (»Teilchen«).
Was Robert C. Morgan 1995 anhand der »Sources« feststellte, gilt also auch für die jüngeren Arbeiten: »Sichtbare Physikalität macht Günther Selichars Kunst konzeptuell und konkret zugleich«. Ein gemeinsames Merkmal der vorgestellten Serien ist ihr analytisch-wissenschaftlicher Charakter, ihre kühle Faktizität und akribische Buchstäblichkeit. Dies verdankt sich auch den Wirkungsweisen und Kodierungen des fotografischen Mediums, wie sie bereits eingangs angesprochen wurden. Es ist die spezifische Referenzialität bzw. der vielbeschworene Indexcharakter der Fotografie, die an (eine) Wahrheit der Abbildung, eine gleichsam wissenschaftliche Phänomentreue glauben lassen. Allerdings schienen gerade diese Paradigmen mit dem Aufkommen digitaler Fotografie und ihren neuen Möglichkeiten, in die enge Beziehung zwischen Bild und Referent einzugreifen, infrage gestellt. Und dennoch ermöglicht gerade die digitale Aufnahmetechnik einen derart hohen Grad an Detailinformation, der analoger Kameratechnik bzw. Filmchemie überlegen ist. Damit regen Selichars Arbeiten dazu an, die wohl häufig zu einfach gedachte medientechnologische Wende von analoger zu digitaler Fotografie zu überdenken bzw. sorgfältig zwischen den Schritten von Bildaufzeichnung und Bildbearbeitung zu differenzieren.
...So ist es genau der Exzess des Faktischen, die enorme Detailfülle seiner Aufnahmen, die eine scheinbar so treue Abbildung in eine (autonome, abstrakte) Bildlichkeit des Artefakts kippen lässt: Indem man die gleichsam malerischen Qualitäten dieser Bilder wahrnimmt, eröffnet sich in ihrer (gegenständlichen) Leere die Erfahrung einer »abweisenden Tiefe« (Günther Selichar), die als Metapher für die unmittelbare Unzugänglichkeit mediatisierter Realität lesbar ist: Der Blick allein – in welcher Art er auch technologisch aufgerüstet sei – vermag die Bedingungen und Hintergründe der Medien und ihrer Bildkulturen nicht zu entschlüsseln.
Marie Röbl, »Sources«, »Screens«, »Exposures«. Günther Selichars Medienanalysen im fotografischen Medium, in: Martin Hochleitner u.a. (Hrsg.), Günther Selichar. Third Eye, Linz/Salzburg: Oö.Landesgalerie, Fotohof edition 37, 2004.