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ThemenCyborg BodiesMythische Körper II
Mythische Körper II
Cyborg_Configurationen als Formationen der (Selbst-)Schöpfung im Imaginationsraum technologischer Kreation (II): Monströse Versprechen und posthumane Anthropomorphismen
Verena Kuni

http://medienkunstnetz.de/themen/cyborg_bodies/mythische-koerper_II/

Abstract:

Zur Einführung in den Kontext der »Mythischen Körper« und ihren Cyborg_Configurationen siehe die Einführung in Teil I. Der hier folgende Teil II richtet seinen Fokus auf die »monströsen Versprechen und posthumanen Anthropomorphismen« technologischer Schöpfungsgeschichten im Spiegel computergenerierter Visionen in der zeitgenössischen Kunst und Game-Kultur.

Körper-Projektionen unter post-humanen Konditionen

Künstlerinnen und Künstler haben früh auf die »monströsen Versprechen« neuer Technologien reagiert – allerdings auf recht unterschiedliche Weise.

»Be Art!« – »Sei Kunst!« ist beispielsweise das Motto, in das Natasha Vita More den Imperativ der Cyborgisierung übersetzt. Als überzeugte »Extropianerin« und »Transhumanistin« – also Anhängerin der Auffassung, dass sich der Mensch mithilfe der neuen Technologien dafür rüsten müsse, die Schwächen und allen voran die Sterblichkeit seines Organismus zu überwinden – rechnet sie ihrer künstlerischen Ausbildung auch jene Lehrgänge zu,in denen sie sich zur Ernährungsspezialistin, zur Fitness-Trainerin und zur Futurologin ausgebildet hat. Konsequent arbeitet sie daher nicht nur mithilfe der üblichen verfügbaren Körpertechnologien an ihrem eigenen Körper, sondern hat in ihrem Projekt »Primo Posthuman 3M+« (2000ff.) – das sie als »Transhumanist net.art« verstanden wissen will – einen Zukunftsentwurf entwickelt, der die Konditionen des zukünftigen posthumanen Körpers anschaulich machen soll. Dieser Designer-Körper – ein idealisiertes und animiertes 3 D- Modell, dem Vita Mores eigene Körpermasse zu Grunde liegen – führt vor, mithilfe welcher technologischen Verfahren der menschliche Organismus aus- und aufgerüstet werden soll, um sich künftig »über überkommene Auffassungen und Verhaltensmuster des Menschen erheben« zu können, wie es in dem von Vita Mores Lebensgefährten, dem Schriftsteller Max More, verfassten Manifest »Principles of Extropy. An evolving framework of values and standards for continuously improving the human condition« heißt. [1]

Am menschlichen Körper Maß zu nehmen und ihn in den ›virtuellen Raum‹ zu projizieren, um die Konditionen des posthumanen Körpers zu erkunden, ist ein Verfahren, das einem seit den späten 1990er Jahren auffallend häufig in der Kunst begegnet. Entsprechende Anregungen liefern mittlerweile längst nicht mehr allein Science Fiction-Phantasien, die – wie der Kultfilm »Tron« [2] – den Eintritt des Menschen in den Cyberspace imaginieren, sondern auch die Entwicklungen in den Informations- und Biowissenschaften. Metrische und bildgebende Verfahren kommen hier mit solchen der Medizin zusammen, wie etwa im »Visible Human Project«: Einem anatomischen Computermodell des menschlichen Körpers, dessen Datensätze auf den in mikroskopisch kleine Scheibchen zerschnittenen Leichnam eines Exekutierten zurückgehen. [3] Dass dies den »Visible Human« nicht nur mit zahlreichen anatomischen Präparaten der Medizingeschichte, sondern mittelbar auch mit der Hauptfigur aus Mary Shelleys »Frankenstein« verbindet, die freilich aus verschiedenen Leichenteilen zusammengesetzt werden muss, welche die Zuträger des ehrgeizigen Wissenschaftlers aus den Gräbern Gehenkter besorgen, ist weniger ein absurder Zufall als ein sprechendesDetail: Der Ethos, die Würde des Menschen auch nach seinem Tode nicht anzutasten, wird in ein Angebot an arme Sünder transformiert, wenigstens auf diesem Wege einmal dem Wohle der Menschheit zu dienen. Da dem Körperspender des »Visible Human« diese Offerte jedoch noch zu Lebzeiten gemacht wurde und er in den Handel eingewilligt hat, erlangt er im ›virtuellen Raum‹ – wenigstens virtuell – zur Ganzheit seiner Kontur zurück. Den aus disparaten Quellen zusammengesetzten Körper von Frankensteins Kreatur hingegen weisen die Narben der grob geflickten Schnittstellen als Monster aus.

Nun sind es nicht zuletzt die gewandelten technologischen Verfahren, die es ermöglichen, die Schnitte der Partikularisierung unsichtbar zu machen. Zeitgenössische Cyborg_Configurationen zeichnen sich deshalb dadurch aus, dass sie beide Aspekte in sich vereinen: Einerseits die Teilbarkeit des Körpers in kleinste Einheiten, die seiner Informatisierung und Kartografierung zu verdanken sind, und andererseits seine Zusammensetzung zu einer funktionalen Einheit, die – mindestens auf der Ebene der Simulation – derjenigen des menschlichen Organismus entsprechen soll. Entscheidend für ihre Interpretation ist daher, welche Schnittstellen sichtbar und welche unsichtbar gemacht werden beziehungsweise bleiben, welche aktiviert und welche stillgelegt werden.

So bietet – ganz ähnlich wie der »Primo Posthuman 3M+« – auch Tina LaPortas Vision eines »Future Body« (1999) das 3D-Gitternetz-Modell eines aufgrund seiner Konturen als weiblich ausgewiesenen Körpers an, den NetznutzerInnen via Mausklick erkunden können. Anders als Natasha Vita More interessiert sich LaPorta aber nicht für die Potentiale einer technologischen Aufrüstung des menschlichen Leibes und seiner Funktionen, sondern für einen speziellen Aspekt der »monströsen Versprechen« neuer Technologien, den Körper von seiner Bindung an die Materialität des Organischen zu befreien. Anstatt diese in eine technoide Materialität zu übersetzen, soll er als ein System von Datensätzen begriffen werden, das im Cyberspace vollständig repräsentiert werden kann – eine Vorstellung, wie sie nicht nur in der Science Fiction- und Cyberpunk-Literatur von Philipp K. Dick bis William Gibson begegnet [4] , sondern auch den Visionen enthusiastischer Vertreter der Robotik verwandt ist,die wie Hans Moravec davon sprechen, dass der Mensch dereinst in der Lage sein wird, Intelligenz und Bewusstsein auf einen Silicon-Chip zu übertragen. [5]

Das sich in diesem Fall erneut auf die problematische Analogisierung von genetischem Code und digitalem Code berufende Versprechen, die verborgenen Strukturen eines Systems sichtbar machen, kommunizieren und gegebenenfalls sogar manipulieren zu können, bleibt bei LaPorta jedoch absichtsvoll unerfüllt: Trotz seiner totalen Transparenz, seiner ubiquitären Verfügbarkeit und der Zugänglichkeit der Codes, die auf der Webseite direkt neben ihrer graphischen Umsetzung erscheinen, gibt sich ihr »Future Body« hermetisch. Weder gestattet die Matrix, den Körper zu verorten, noch vermitteln die Datensätze weiterführende Informationen. Obgleich er ins Netz gestellt ist, kann keine Kommunikation mit ihm aufgenommen werden. Bewegung und Stimme bleiben in Loops gefangen. Und schließlich führt auch die Einladung, ihn zu penetrieren, wortwörtlich ins Leere: Jeder Zoom führt zurück zur Ganzfigur, die sich ihrerseits entfernt und in Einzelteile zerfällt. Der kartografierte, idealisierte Körper ist nichts als eine Hülle – und als solche weitgehend uninteressant.

LaPortas »Future Body« nicht nur optisch, sondern auch konzeptionell verwandt ist das Projekt »EvaSys« (1997ff.) der Österreicherin Eva Wohlgemuth. [6] Hier bildet ein 3 DScan des Körpers der Künstlerin den Ausgangspunkt, der als Datenhülle schwerelos durch den Cyberspace zu treiben scheint. Wie der »Future Body« die Projektion eines technisch und optisch geglätteten, unbekleideten weiblichen Körpers, der sich beliebig umkreisen, heranzoomen und ›abtasten‹ lässt, scheint »EvaSys« zunächst kaum mehr zu bieten, als eine weitere Variation auf informationstechnisch belebte ›Puppen‹ wie die Computerspiel- Heldin »Lara Croft« oder das virtuelle Pop-Sternchen »Kyoko Date«, mit denen nicht nur Marketingstrategien der Konsumkultur, sondern auch tradierte Geschlechterperspektiven ihre nahtlose Fortsetzung im Netzraum finden. Wer sich nicht damit begnügt, »EvaSys« zu betrachten und im Raum zu bewegen, wird in der Kartografie ihrer Körperlandschaft auf eine Reihe von verdichteten Knoten stoßen. Berührt man diese Knotenpunkte mit der Maus, beginnt »EvaSys«‹ Stimme, ›Intimeres‹ zu offenbaren: Von »what I like«,»places and countrys I have been« bis zu »how I spent my day«. Den Voyeurismus eines ›Datensextouristen‹ zu befriedigen, sind diese Bekenntnisse allerdings kaum geeignet. Ganz im Sinne Donna Haraways, die in ihrem »Manifesto for Cyborgs« eine zunehmende »Übersetzung der Welt in ein Kodierungsproblem« konstatiert [7] , liefert »EvaSys« mit kühler Präzision Wohlgemuths »personal informations« als reinen Datenset, von den Massen ihrer Körperhülle bis zur Nummer ihrer Kreditkarte.

Der Körper als Software

Den eigenen Körper als Software zu begreifen und – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – zur Schnittstelle zu machen, ist eine Option, die zwei KünstlerInnen besonders radikal aufgefasst und über Jahre hinweg konsequent weiterverfolgt haben: Der Australier Stelarc und die französische Künstlerin Orlan.

Bekannt geworden ist Stelarc mit seinen »Suspensions«, für die sich der Künstler zwischen 1976 und 1989 über fünfundzwanzig Mal Stahlhaken durch die Haut treiben ließ, um seinen Körper an wechselnden Orten, in wechselnden Positionen und Situationen an Seilen aufgehängt in die Schwebe zu bringen. [8] Stelarc selbst sieht sich jedoch nicht in der Tradition der VertreterInnen einer ›Body Art‹, die – auffallender Weise just in dem Moment, als die elektronischen Medien der Kunst neue Räume eröffnen – den »Körper im Schmerz« als bevorzugtes Material und Medium entdecken. [9] Vielmehr will der Künstler seinen Körper als manipulierbare und modifizierbare Struktur verstehen. [10] Die Haut hat seiner Ansicht nach als traditionelle Schnittstelle zwischen dem Körper und seiner Umgebung ausgedient, nun soll sie mithilfe der Technik durchbrochen, gedehnt, und ihr dadurch neue Funktionen zugeführt werden. [11] So ähneln auch die Arbeiten, die in den folgenden Jahren entstehen, Versuchsreihen, in denen Stelarc die Struktur und Funktionsweise des Körpers mit Hilfe verschiedener Verfahren systematischen Untersuchungen unterzieht, die auf seine Erweiterung und Ausdehnung in den Raum zielen. Hierfür greift er mit zunehmendem Ergeiz auf die neuesten Entwicklungen auf den Feldern der apparativen Medizin, der Robotik und der Computertechnologie zurück – Entwicklungen, die anden Schnittstellen von Mensch und Technologie operieren, die Funktionen seines Körpers untersuchen, freilegen, und erweitern, sie dabei aber nicht nur zu verbessern, sondern auch zunehmend zu substituieren behaupten. Wenn der Mensch, der sich als organisches Wesen durch eine Reihe von unwillkürlichen Körperfunktionen auszeichnet, zu Teilen schon immer ein »Zombie« gewesen ist und andererseits seit je »Artefakte, Instrumente und Maschinen« geschaffen hat, die seine zunehmende »Cyborgisierung« auszeichnen, dann gilt es, diese »Cyborgisierung« weiter voranzutreiben und den »Obsoleten Körper« (Stelarc) neu zu bestimmen. [12]

Es kann also nicht mehr darum gehen, Prothesen für einen Körper zu entwerfen, dessen Mängel und Fehlfunktionen letztlich nicht mehr auszugleichen sind: weil der Körper unter den posthumanen Konditionen, die der Mensch mittels seiner technologischen Entwicklungen geschaffen hat, selbst zur Fehlfunktion, zu einer Inkarnation des Mangels geworden ist. In radikaler Konsequenz wählt Stelarc daher den umgekehrten Weg: Er lässt seinen Körper zur Prothese für eine technologisierte Umwelt werden. Zwar ähnelt seine »Third Hand« auf den ersten Blick einem gewöhnlichen Roboterarm, der die beiden anderen Extremitäten in ihren Funktionen unterstützt. Sie wird jedoch nicht nur – anders als die beiden anderen Arme – durch Impulse aus den unteren Extremitäten bewegt, was den Körper zu einem völlig neuen Bewegungsdenken zwingt. Zudem gibt sie auch ihrerseits Steuerungsimpulse an ihn zurück. Der organische Körper erweist sich als Wirtsorganismus für eine Apparatur, die mit ihm so weit verschmolzen ist, dass sie ihn auch ihrerseits lenken kann. Sein »Amplified Body«, dessen Gehirnströme, Muskelkontraktionen, Pulsschlag und Blutdruck über verschiedene Sensoren abgenommen, elektronisch verstärkt und zur Steuerung einer komplexen Licht- und Soundmaschinerie eingesetzt werden, ist in den gleichnamigen Performances nur scheinbar der zentrale Akteur. Denn was ihn zum ›Beweger‹ macht – die neuronalen Aktivitäten, die Beschleunigung des Pulses, das Ansteigen und Abfallen des Blutdrucks – sind letztlich Reaktionen auf die Reize, die der Körper aus der Umwelt erfährt. Der »Ping Body« wiederum wird an ein Netzwerk angeschlossen, um vonNetznutzerinnen in aller Welt stimuliert und bewegt zu werden. Eingebunden in komplexe technologische Feedback-Strukturen, deren Schnittstellen es ermöglichen, ihn zum Agenten für andere menschliche und nicht-menschliche Systeme werden zu lassen, ist der Mensch nicht mehr allein Netznutzer, sondern wortwörtlich zu einem Teil des Netzwerks geworden.

Auf den ersten Blick scheinen Stelarcs Arbeiten auf demselben Nährboden zu gedeihen wie so viele Science Fiction-Phantasien, die Wissenschaft und Kunst im Gefolge dessen hervorgebracht haben, was Donna Haraway die »C3I-Metapher« nennt: »commandcontrol- communication-intelligence«, das Credo einer kolonialistischen Cyborg-Mythologie weißer, westlicher, patriarchaler Prägung. [13] Entscheidendes Kennzeichen dieser Mythologie ist es jedoch, dass sie im Dienst einer Subjektposition steht, die sich nach wie vor als Krone der Schöpfung und den Menschen als großen Kreator begreift, der mit dem ›deus artifex‹ konkurriert. Stelarcs radikale Identifikation mit der Cyborgisierung, die eine Auflösung der Grenzen des Subjekts impliziert, steht auf ihre Weise derjenigen Haraways näher, die betont: »I'd rather be a Cyborg than a Goddess«. [14] Es ist nicht ein drittes Auge, das Stelarc als Erweiterung seines Körpers imaginiert, der schwerlich noch mit dem Fantasma eines ganzen, gottgleichen, weißen, westlichen, männlichen Körpers in Deckungsgleichheit zu bringen ist. Es ist ein drittes Ohr, das »Extra Ear«, das als Sende- und Empfangsstation mit Schnittstelle zum Internet funktionieren kann »und dann, wenn entsprechende Impulse aus dem Netz ausbleiben in die Funkstille hinein den anderen beiden Ohren ein Gute-Nacht-Lied singen kann.« [15]

Als Credo seiner Arbeit an der Cyborgisierung seines Körpers gibt Stelarc freilich ein Motiv an, das bereits an der Schnittstelle der alten und der neuen (Selbst- )Schöpfungsgeschichten begegnen konnte: Bilder zu beleben. »Bilder sind unsterblich, Körper sind vergänglich. Für den Körper wird es immer schwieriger, mit den Erwartungen seiner Bilder überein zu stimmen. Im Reich der sich multiplizierenden und verändernden Bilder ist die Machtlosigkeit des materiellen Körpers offensichtlich. Der Körper bringt die besten Leistungen, wenn er als Bild handelt. VR-Technologie erlaubt eine Überschreitung der Grenzen zwischenmännlich/weiblich, Mensch/Maschine, Zeit/Raum. Das Selbst siedelt sich jenseits der Haut an. Das ist kein Prozess des Abkoppelns oder der Abspaltung, sondern der Verlagerung der Aufmerksamkeit. Menschlich zu sein bedeutet nicht mehr, in genetisches Gedächtnis eingetaucht zu sein, sondern in einem elektromagnetischen Feld von Netzwerken rekonfiguriert zu werden: Im Reich des Bildes.« [16]

Eine radikale Unterwerfung unter die Bilder, die den realen Körpern überlegen sind, steht auch am Ausgangspunkt des Langzeitprojekts, mit dem die französische Künstlerin Orlan 1990 in ihrem Werkkomplex »The Reincarnation of Sainte Orlan« beginnt. Ganz ähnlich wie der legendäre Maler Apelles von seinen Modellen nur das schönste Körperteil nachgebildet haben soll, um auf der Leinwand zur Darstellung einer Frau von vollkommener Schönheit zu gelangen, setzt Orlan aus bekannten Weiblichkeitsdarstellungen der Kunstgeschichte auf dem Computer ein Idealporträt zusammen. [17] Dieses Inbild idealisierter Kunst-Weiblichkeit dient in der Folge als Vorlage für eine Neugestaltung ihres eigenen Gesichts mithilfe einer Reihe von Schönheitsoperationen, denen sich die Künstlerin unterzieht. Auf den ersten Blick unterscheidet sie sich dabei wenig von jenen Frauen und Männern, die entsprechende Eingriffen an sich vornehmen lassen, um die Größe ihrer Brüste oder ihre Nasenform nach ›eigenen‹ Vorstellungen zu verändern, für die es in der Regel ebenfalls konkrete Vorbilder gibt. Die Informatisierung und Partikularisierung des Körpers, die Haraway als Kennzeichen der Cyborgisierung herausstellt [18] , hat solche Eingriffe zunehmend selbstverständlich werden lassen. Cindy Jackson, die ihr Gesicht und ihren Körper Schritt um Schritt nach dem Vorbild einer Barbie-Puppe umgestaltet, sieht sich in ihrer ›Verpuppung‹ keineswegs als Opfer patriarchal geprägter Körper- und Schönheitsnormen, sondern behauptet selbstbewusst: »This is the ultimate feminist statement. I refuse to let nature decide my fate just because I missed out on the genetic lottery.« [19]

Ganz ähnlich klingt Orlans künstlerisches Credo: »Mein Körper ist meine Software«. [20] Tatsächlich kann man in »The Reincarnation of Sainte Orlan« eine konsequente Fortsetzung ihrer frühen, feministischen Performance-Arbeiten erkennen – einen »ultimativenFeminismus«, der freilich andere Akzente setzt als derjenige, den Cindy Jackson für sich beanspruchen will. So geht sie nicht nur in der medialen Vermarktung ihrer Cyborgisierung wesentlich radikaler vor als Jackson, indem sie bereits die Operationen als Performances inszeniert, auf Video aufzeichnet und auf dem Kunstmarkt zum Verkauf anbietet. Auch die Fotografien, die sie vor und nach den Eingriffen zeigen und die allmählichen Mutationen ihrer Gesichtszüge dokumentieren, werden – wie in »Omniprésence« (1993) – als Kunstwerke verstanden und ausgestellt. Vor allem aber wird dem Mythos des ›ganzen Menschen‹, dem sich auch jene verschreiben, die mittels neuer Körpertechnologien an ihrem eigenen Leibe ein Idealbild realisieren wollen, in jeglicher Hinsicht eine Absage erteilt: Bezeichnender Weise ist schon die ›Vorlage‹ für die »Reincarnation of Sainte Orlan« ein Patchwork, aus eigentlich disparaten Körper-Bildern zusammengesetzt, deren Konturen allzu offensichtlich miteinander konkurrieren. Die Übertragung dieses Verfahrens auf den menschlichen Körper führt denn auch weniger auf eine Inkarnation ›über-natürlicher‹ Schönheit hinaus: Nicht nur wird die Gewaltsamkeit der chirurgischen Eingriffe in den Fotografien sichtbar, die Orlan im Anschluss an die Operationen mit Narben, Schwellungen und blauen Flecken entstellen. Auch dem Ergebnis des Prozesses – einem Gesicht, das aus den Zügen anderer zusammengesetzt ist – haftet etwas Monströses an [21] .

Umso mehr gilt dies für die »Self-Hybridations« (1998ff.), mit denen sich Orlan mittlerweile auf vergleichbare Weise auch fragmentarisierte Schönheitsideale anderer Zeiten und Kulturen einverleibt. [22] Phänomene der Hybridisierung, wie sie kennzeichnend für das postkoloniale Zeitalter sind, werden zu Figuren der Überschreitung kondensiert, deren Korpo-Realität Brüche und Schnittstellen sichtbar macht, anstatt sie zu überspielen – eine Arbeitsweise, die ähnlich auch bei der Künstlergruppe Mongrel begegnet, die begleitend zu ihrem Projekt »Natural Selection« (1998), in dem Geschichten über Erfahrungen mit den alltäglichen Rassismen multi-medial miteinander verwoben werden, Bildanimationen und Poster lancierte, in denen sich die Gesichtszüge von Menschen unterschiedlichster Ethnien miteinander vernäht finden. Die Vorstellung, sich selbst aus freienStücken als »Patch Work« zu imaginieren, zu erkennen oder gar zu erschaffen, ist freilich in der Tradition einer Kultur, die den ›ganzen‹, weißen Mann als Krone der Schöpfung betrachtet, hochgradig angstbesetzt – und dementsprechend kaum zufällig der Stoff, aus dem die Bilder von »Freak Shows« und Horrorfilmen sind, von Frankensteins Monster bis zu Jame Gumb aus »Das Schweigen der Lämmer«, der sich eine zweite Haut aus ermordeten Frauen näht. [23]

Bildbearbeitungsverfahren

Unter den Vorzeichen einer »Cyborgisierung« sind es in der Tat auffallend häufig die Körperoberflächen, die zur Schnittstelle werden: Sie kommunizieren das Bild eines Menschen, dem unter post-humanen Konditionen die Auflösung droht und der nunmehr mithilfe technologischer Kunstgriffe nach einer ›Ganzheit‹ strebt, die allzu leicht zum Flickwerk gerät. Im Lauf der neunziger Jahre entstehen unzählige Arbeiten, in denen sich die spannungsvolle Ambivalenz von Utopien und Realitäten der neuen Technologien niederschlägt: Cyborg_Configurationen, in denen computergestützte Verfahren der Bildbearbeitung Verwendung finden, um Vorstellungen und Visionen zukünftiger Körper Gestalt zu verleihen.

So etwa, wenn Markus Käch in seinen »Pathologien medialer Konstitutionstypen« (1994) die gesamte Palette von Optionen, die zeitgenössische Graphikwerkzeuge bieten, augenzwinkernd in einen Bilderaltlas körperlicher Defekte projiziert [24] oder wenn das Künstlerpaar Aziz & Cucher in seinen computermanipulierten Porträts aus der »Dystopia Series« (1994) mit Augen, Nasen und Mund eben jene Partien auslöscht, durch die Gesichtszüge ihre Identität erhalten und über die der Mensch mit seiner Umwelt kommuniziert. Auch ihre Allegorien auf die Tugenden »Faith, Honor, and Beauty« (1992) scheinen als moderne Verkörperungen dieser Ideale einen hohen Preis gezahlt zu haben: Ihren wohl modulierten Leibern fehlt, wie Schaufensterpuppen, das Geschlecht. In Alba d’Urbanos Projekt »Hautnah« (1994ff) wiederum lässt sich via Computersimulation das Bild eines Wunschkörpers entwerfen. Auf der Basis der realen Körpermasse, die man dem Rechner anschließend eingeben muss, fertigt dieser dann Schnittmuster an, nach denen sich T-Shirts, Anzüge, Blusen und Röckeherstellen lassen. Wer den fertigen Zuschnitt ausdruckt und zusammennäht, kann ihn wie eine zweite Haut über der ersten tragen. [25]

Die Figuren von Inez van Lamsweerdes Serie »Thank You Thighmaster« (1993), mit der die professionelle Modefotografin im Kunstbetrieb Bekanntheit erlangte, wurden ebenfalls mittels digitaler Bildbearbeitungsverfahren aus den Körpern von Models und Schaufensterpuppen ›geklont‹. Wenn ihren bereits aufgrund der künstlich wirkenden Glätte und Perfektion ihrer Gliedermaßen, wie auch durch die Glättung der primären Geschlechtsmerkmale etwas Unheimliches anhaftet, so gilt das um so mehr für die ProtagonistInnen der im Anschluss entstandenen Serien: Für »Final Fantasy« (1993) kombinierte Lamsweerde kindliche Körper mit den Gesichtszügen erwachsener Modelle; für »The Forest« (1995) versah sie männliche Oberkörper mit weiblichen Extremitäten. Gegenüber den glatten Puppen-Körpern, die in »Thank You Tighmaster« begegnen, verstärkt sich die Irritation hier insofern, als es nicht medial propagierte, gesellschaftlich sanktionierte Körperideale sind, sondern Imaginationen der verführerischen Kindfrau und des Transsexuellen beziehungsweise Transvestiten: Bilder also, die das Begehren wecken mögen, die zugleich jedoch Figuren der Überschreitung markieren. Während Lamsweerde für diese Werkgruppen durchgängig mit professionellen Models arbeitete, wird sie in der Serie »Me« (1999) selbst zum Modell, das verschiedene Lebensalter und Geschlechter durchläuft, indem die Gesichtszüge der Künstlerin auf diejenigen anderer Menschen projiziert werden, um mit ihnen zu verschmelzen. [26] Unheimlich mutet nicht nur die Überschreitung der Geschlechtergrenzen an, die sich weniger auf der Bildebene als im Blick der Betrachtender vollzieht, wenn eine männliche Figur als »Selbst(porträt)« (»Me«) der Künstlerin identifiziert werden soll. Das Versprechen der Verjüngung oder gar der Alterslosigkeit qua Auf- und Umrüstung des organischen Leibes, das die neuen Technologien transportieren, wird hier nicht nur ins Bild gesetzt, sondern auch mit seinem Gegenbild konfrontiert – und die Frage nach der technologischen Realisierbarkeit dadurch verschärft, dass Lamsweerde sie unter den Vorzeichen der Selbstschöpfung formuliert, die im Fall ihrer künstlichen Alterung mit einem Moment derSelbstzerstörung oszilliert. Gemeinsam ist allen diesen Arbeiten eins: Obwohl sie – in doppeltem Wortsinn – an den Oberflächen operieren, suggerieren sie zugleich, dass der Zugriff der neuen Technologien weiter reicht. Auch wenn sie dabei nicht so radikal vorgehen wie Orlan und Stelarc, die ihre eigenen physischen Körper selbst zum Austragungsort der Technologien machen, verleihen sie je auf ihre Weise der Vermutung Ausdruck, dass unter den Vorzeichen der Cyborgisierung die Körpergrenzen und -konstitutionen fluide zu werden beginnen, und mit ihnen die Grenzen und Konstitutionen des Subjekts.

Cyborg-Subjekte und ihre Maskeraden

Es wäre allerdings verkürzt, ausschließlich den Körper als Schnittstelle zu begreifen, an der sich der Imperativ der Cyborgisierung in seinen Konsequenzen festmachen oder ablesen lässt. Nicht von ungefähr betont Haraway, dass es vor allem unser Bewusstsein ist, das uns schon jetzt zu Cyborgs macht. Cyborg_Configurationen der Kunst verhandeln nicht allein das sich wandelnde Verhältnis von Mensch und Technologie, sondern verweisen auch auf den gesellschaftlichen Ort, in dem sich dieses Verhältnis artikuliert. Dementsprechend geht es nicht nur um die Konstitution des biologischen Körpers, sondern auch um Rollenmodelle, die verkörpert werden, und nicht nur um das körperliche, sondern auch um das soziale Geschlecht – und zwar auch dann, wenn der Körper nach wie vor nicht nur der bevorzugte Austragungsort der Diskurse um Cyborg_Configurationen ist, sondern auch das bevorzugte Medium, ihnen Gestalt zu verleihen.

Mariko Mori ist in ihren Arbeiten schon früh selbst in die Rolle der Cyborg geschlüpft. [27] In Fotografien wie »Subway« (1994) oder »Play with Me« (1994) sieht man sie als zum Leben erwachte Kult-Science-Fiction, Manga- oder Computerspielfigur in verschiedenen Alltagssituationen auftauchen. Nach Momenten der Brechung mit den überzeichneten Weiblichkeitsbildern, welche die Cyborg_Configurationen aus der Populärkultur liefern, muss man schon bei diesen Arbeiten etwas länger Ausschau halten. Einen kulturkritischen Zug muss man den Arbeiten der Künstlerin nicht unterstellen. Zwar verleihen in Moris Video »Miko No Inori« die hellen Kontaktlinsen den unheimlichen Blick einer Cyborg,doch sorgt sanfte Sphärenmusik dafür, dass die eine Kristallkugel streichelnde Gestalt wie eine vom Himmel herabgestiegene Heilsbringerin wirkt. Die von kischig-bunten Boddhisattvas umschwärmte Göttin aus der 3-D-Animation »Nirvana« (1997) wiederum, die auch in anderen Arbeitender Künstlerin eine Hauptrolle spielt, verschmilzt höchst harmonisch triviale Popkultur mit Anleihen an die traditionelle, religiöse Ikonographie. Mit ihrem Projekt »Wave UFO« (1999-2002) schließlich – einer futuristischen Raumkapsel, in der Besucherinnen und Besucher ihre Hirnströme in fließende Bilder übersetzt sehen sollen – kombiniert Mori alte esoterische Wunschträume einer Visualisierung von Gedankenbildern mit solchen aus Science Fiction und angewandter Technowissenschaft, um nunmehr ihrerseits einen Platz im Olymp der Künstler-Wissenschaftler in der Nachfolge des Leonardo 2000 zu beanspruchen. In diesem Zuge wird der phantasmatische Raum ihrer Cyborg_Configurationen auf zweifache Weise vom ›virtuellen Raum‹ der Kunst in den ›Realraum‹ transportiert. Einerseits, indem sie ihr Publikum direkt involviert. Andererseits verkörpert sie als Künstlerin eine Kunstfigur, die im Zeichen futuristischer Maskeraden traditionelle Bilder von Weiblichkeit und Autorschaft revitalisiert und in geschickter Kreuzung erfolgreich für sich appropriiert.

Lynn Hershman zählt zu den KünstlerInnen, in deren Werk Cyborg_Configurationen schon lange vor dem Hype um die neuen Technologien in Kunst und Wissenschaft begegnen – und zwar in den unterschiedlichsten Medien, von der Performance, über Fotografie, Film und Video bis hin zu Multi-Media-Installationen und interaktiven Arbeiten. Für die »Phantom Limb Photographs« (1980-1990), eine Serie von klassischen Schwarz- Weissfotografien, hat Hershman auf weibliche Körper – meist anstelle des Kopfes – Kameras und andere Apparate montiert. Wenn Hershman selbst diese Arbeiten explizit als Cyborgs bezeichnet, hebt sie nicht nur die Konkordanz klassischer Vorstellungen von Cyborg_Configurationen als technologisch aufgerüsteter Menschen mit der von Marshall McLuhan vertretene These auf, dass Medien Extensionen des menschlichen Körpers darstellen [28] , sondern präzisiert diese auch im Hinblick auf die ›Schnittstelle Geschlecht‹. Bereits zehn Jahre zuvorhatte sie sich mit ihrer Realzeit/Realraum-Performance »Roberta Breitmore« (1971–1978) einen ›Avatar‹ erschaffen, eine Kunstfigur, die von ihr selbst verkörpert wurde. Führt man sich vor Augen, dass die Konturen von »Roberta Breitmores« Identität durch verschiedene mediale und soziale Technologien der Kommunikation und Erfassung wie Zeitungsanzeigen, Foto- und Videoaufnahmen, aber auch psychiatrische Gutachten und menschliche Zeugen gebildet wurden, lässt sich leicht eine Brücke zu späteren Arbeiten der Künstlerin schlagen, die diese Parameter konsequent unter den Vorzeichen neuerer Medien weiterdenken. Während sich »Lorna« (1973–1989), die Hauptfigur ihrer gleichnamigen Video-Disk-Installation, anders als »Roberta Breitmore« ausschließlich im ›virtuellen Raum‹ des Mediums verkörperte, handelt es sich nämlich bei beiden »Telerobotic Dolls« »Tillie« (1995–1998) und »CybeRoberta« (1970–1998) um ›belebte‹ Puppen, die im Realraum als Interfaces zum ›virtuellen Raum‹ des Mediums fungieren. Indem wir einerseits mit ihren Augen sehen können, andererseits die von uns eingespeiste Informationen von ihnen weiter verarbeitet und kommuniziert werden, wird der Grenzverlauf zwischen menschlichen Körpern beziehungsweise Sinnessystemen und deren von den Puppen repräsentierten technischen Simulation beziehungsweise Erweiterung hinterfragt und erodiert. Noch einen Schritt weiter gehen Hershmanns jüngere Filme: So dringt in »Conceiving Ada« (1996/1997) die Computerexpertin Emmy, die das Gedächtnis der DNA erforschen will, immer weiter in die Geschichte von Ada Lovelace vor, die ihrerseits nicht nur als Mathematikerin gemeinsam mit Charles Babbage an der »Difference Engine« [29] arbeitet, sondern auch davon träumt, die Formel für künstliches Leben zu finden. Den beiden gelingt über das Interface von Emmys Computer eine Verbindung durch Raum und Zeit – die so weit reicht, dass die Tochter, mit der Emmy schwanger ist, die genetischen Informationen von Ada tragen wird. In »Teknolust« (2002) wiederum hat die Biogenetikerin Rosetta Stone [30] heimlich aus ihrem Erbgut drei Klone hergestellt, die scheinbar nur als ›Avatare‹ beziehungsweise als mit künstlicher Intelligenz versehende Lebensformen im ›virtuellen Raum‹ existieren – tatsächlich aber die Grenze zum menschlichen Lebensraum kontinuierlichüberschreiten. Hershman gelingt es in, sowohl den ›Imperativ des Anthomorphismus‹, dem sich die Klone unterworfen sehen, als auch den der ›Cyborgisierung‹, dessen Spiegel sie sind, lustvoll miteinander zu kreuzen. [31]

Cyborg-Technologien

Mit den neuen Technologien haben sich – auch davon handeln Hershmans Filme – allerdings nicht allein die Möglichkeiten der Schöpfung und der Selbstschöpfung erweitert, sondern auch die Möglichkeiten ihrer medialen Kommunikation. Und dies betrifft nicht nur die Medien, die Bilder der Schöpfung und der Selbstschöpfung transportieren, sondern auch die medialen Räume, in denen sie generiert und kommuniziert werden können.

Zu einem solchen Kommunikationsraum hat sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts das Internet entwickelt, das eine Vernetzung des grundlegenden Generationsmediums für digitale Kreationen, also des Computers, ermöglicht. Wenn schon bis hierher deutlich geworden sein dürfte, welche wesentlichen Impulse die theoretischen, die künstlerischen wie auch die populärkulturellen Cyborg_Configurationen durch die Auseinandersetzung mit und durch die Nutzung des Computers erfahren haben, dann legen es eine ganze Reihe von ihnen – denkt man etwa an Stelarcs »Ping Body«, Lynn Hershmans »Telerobotic Dolls« oder ihren Film »Tekknolust«, aber natürlich auch webbasierte Arbeiten wie Tina LaPortas »Future Body« oder Eva Wohlgemuths »EvaSys« – umso mehr nahe, nach den spezifischen Potentialen zu fragen, die der Computer als Generationsraum für und das Internet als Kommunikationsraum von Cyborg_Configurationen bereit halten. Da sowohl der Computer – wie es bereits der Begriff »Personal Computer« nahe legt – als auch das Internet aufgrund ihrer individuellen, dabei aber zugleich stets in einen kollektiven Raum eingebundenen Nutzung als Medien verstanden werden können, in denen Prozesse und Formationen der Individuation ebenso wie ihre Einbindung in ein technologisches, soziales, räumliches und historisches Umfeld konvergieren, dürfte hier neben der traditionellen Dichotomie von Schöpfer und Geschöpf die Selbstschöpfung als ›Figur des Dritten‹ eineherausragende Rolle spielen, und es sollten hier zudem entscheidende ›Schnittstellen‹ zu finden sein, die für ihre Gestaltung, Kommunikation und Wahrnehmung von Bedeutung sind. Bevor diese noch einmal näher ins Blickfeld rücken, gilt es zunächst jedoch zu präzisieren, welche Erwartungen sich in diesem Rahmen an die »monströsen Versprechen« von Cyborg_Configurationen knüpfen.

Technologien des Subjekts und Technologien des Geschlechts

Nun hat bereits der Blick auf die traditionellen Schöpfungsgeschichten zeigen können, dass im Rahmen der Erzählungen und Bilder, in denen sie kommuniziert werden, eine ›Schnittstelle‹ besonders markant hervortritt: Die ›Schnittstelle Geschlecht‹. Zum einen als Index, der sich nicht nur das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf in seinen Konturen als Begehrens- und Machtbeziehung bestimmbar macht, sondern auch das Gelingen oder Misslingen des Schöpfungsaktes markiert. Zum anderen, und damit zusammenhängend, als jener Ort, an dem das Monströse einer ›künstlichen Schöpfung‹ zur Sichtbarkeit gelangt. Wenn dieses Monströse seinerseits aufs Engste mit dem Potential beziehungsweise dem Begehren der Geschöpfe verkoppelt ist, selbst zu Subjekten zu werden, die nicht mehr den Gesetzen ihrer Schöpfer unterworfen sind, lässt das nicht nur allgemein auf die kulturellen Ängste schließen, die mit den »monströsen Versprechen« neuer Technologien verbunden sind: Viel versprechend und beängstigend sind sie insbesondere deshalb, weil sie als »Technologien des Subjekts« [32] begriffen werden müssen. Und besonders viel versprechend und beängstigend sind sie ganz offenkundig als »Technologien des Geschlechts«. [33]

Dies zeigt sich zweifellos auch dort, wo Cyborg_Configurationen als ›Figuren des Dritten‹, also der Selbstschöpfung begegnen. Kaum zufällig finden sich sowohl in der Populärkultur als auch in den Künsten in den neunziger Jahren zahllose Beispiele für Bilder und Narrationen, welche »Technologien des Selbst« explizit als »Technologien des Geschlechts« verstehen und dabei auf ihre Potentiale und Limitationen befragen. Denkt man an so unterschiedliche Filme wie Monika TreutsDokumentation »Gendernauts. A Journey Through Shifting Identities« (1999), Hans Scheirls Cyborg-Splatter-Science Fiction »Dandy Dust« (1998) und an Shu Lea Cheangs Sci-fi-Porno »I.K.U.« oder an ihre webbasierte künstlerische Arbeit »The Brandon Project« (1995-1999), die Utopien und Realitäten der Überschreitung von Geschlechtergrenzen thematisieren, dann scheint es durchaus bezeichnend, dass ihre realen und fiktiven ProtagonistInnen als Transgender- Subjekte von der Gesellschaft nicht selten als ›Monstren‹ wahrgenommen werden – während sie sich selbst positiv als Cyborgs identifizieren. [34]

Was aber macht auf einer grundsätzlicheren Ebene die Anziehungskraft der »monströsen Versprechen« aus? Zweifellos muss Abweichung von der Norm dort besonders verlockend wirken, wo die Norm selbst als Regulativ bestehende Machtverhältnisse konserviert, die einzelne oder ganze Gruppen von Subjekten in ihrer Existenz und ihrer Entwicklung empfindlich beschneiden. Während jene, die von den bestehenden Machtverhältnissen profitieren, das Monster als Gegenbild und »Significant Other« ihrer Subjektposition begreifen, besitzt es ein widerständiges Potential, insofern es – als Inbild der Überschreitung und der Vermischung – weder ›Eins‹ noch ›das Andere‹ ist: »The peculiarity of the organic monster is that s/he is both Same and Other. The monster is neither a total stranger nor completely familiar; s/he exist in an in-between zone […] the monstrous other is both liminal and structurally central to our perception of normal subjectivity.« [35] Zweifelsohne ist dies in einem Zeitalter, in dem wir – mit Haraway gesprochen – alle Cyborgs sind, für die Mischwesen aus Organismus und Maschine ebenso geltend zu machen, wie sich auch die Charakteristika des Cyborg-Körpers in dem Profil wieder erkennen lassen, das Rosi Braidotti resümierend für den monströsen Körper entwirft: »The monstrous body is a shifter, a vehicle that constructs a web of interconnected and yet potentially contradictory discourses about his or her embodied self.« [36] Wie das Monster als eine Figur der Überschreitung, der Verschiebung und der Verstörung verstanden, besitzt der/die Cyborg also ein widerständiges Potential. [37]

Blickt man auf die traditionellenSchöpfungsgeschichten zurück, in denen uns künstliche Geschöpfe als Monstren begegnen, stellt sich jedoch umso dringlicher die Frage, wie ein Moment der Devianz zum Moment der Subversion werden kann. Denn grundsätzlich ist die Unkontrollierbarkeit der Schöpfung ja bereits hier ein Leitmotiv, welches das Monströse als Abweichung von der Norm markiert. Dieses Moment der Abweichung aber bleibt in der Regel – auch davon berichten die traditionellen Schöpfungsgeschichten ebenso wie ihre Nach- und Neuformulierungen in Literatur und Film – fix in die Logik der ›Freak Show‹ eingebunden: Das ›Horrende‹ – die Mischung aus Faszination und Schrecken, welche eine jede Abweichung von der Norm auszeichnet – kann dieser Logik entsprechend mit wohligem Schauer zu Schau gestellt beziehungsweise betrachtet werden, sie bleibt beziehungsweise wird am Ende jedoch stets gebannt. Zumindest spiegeln dies jene Erzählungen wider, in deren Mittelpunkt im Anschluss an die Schöpfung eines ›künstlichen Menschen‹ dessen Verfolgung und Zerstörung steht.

Könnte sich demgegenüber nun, wie dies die Arbeiten von Stelarc und Orlan auf radikale Weise zu postulieren scheinen, eine Identifikation mit der Position des Monsters als zukunftsweisend erweisen? Was hieße dies für all jene, die – anders als Stelarc, Orlan, und die ProtagonistInnen von »Gendernauts« – Figuren der Überschreitung nicht am eigenen Leib zu realisieren bereit sind?

Dass die spielerische Identifikation mit Figuren der Devianz seit jeher zu den Verlockungen »monströser Versprechen« gehört, kann die zentrale Rolle belegen, die Masken und Maskeraden in unserer Kultur bis heute spielen. Freilich besitzen sie hier traditionell eine stabilisierende Funktion. Mittelbar zeichnet sich dies noch im Kult um einen Film wie die »Rocky Horror Picture Show« ab, wenn sich Gruppen braver Bürger für einen Kinoabend kostümieren und unter den Vorzeichen einer karnevalesken Maskerade in die Rolle des Frank'n'Furter begeben – der allerdings im Musical beziehungsweise Film für seine Hybris als transsexueller Kreator schlussendlich ganz konventionell bestraft wird. Ein subversives Potential kann auch im Zeichen der Maskerade nur dann freigesetzt werden, wenn diese mit der Erkenntnis verbunden ist, dass es hinter der Maske kein ›wahres Gesicht‹ – beziehungsweise indiesem Fall: kein ›wahres Geschlecht‹ zu entdecken gibt. In diesem Fall wäre also die Frage, welche Erfahrungen die Rollenspieler aus ihrer Zeit als Frank'n'Furter, Janet oder Rocky in ihren Alltag mitnehmen – und ob diese Erfahrungen ihre Wahrnehmung, ihr Denken, ihr Verhalten und schließlich auch die Rollen, die sie in ihrem Alltag spielen, verändern werden. [38]

Immerhin scheinen die Stichworte ›Rollenspiel‹ und ›Maskerade‹ in eine Richtung zu weisen, die auch für die Frage nach möglichen Momenten der Subversion des Primats einer Kohärenz von Körpergeschlecht, Sexualität, Geschlechtsidentität und Geschlechterrolle und ihrer Einordnung in die traditionelle, dichotome Geschlechterhierarchie fruchtbar gemacht werden könnte. Und zwar dann nämlich, wenn wir von den mehr oder weniger linearen Narrationen der Printmedien und des (Spiel-)Films auf Leinwand oder Fernsehschirm auf den Computer überwechseln. Der ›Mediensprung‹ allein ist allerdings noch nicht der entscheidende Punkt, denn schließlich können dieselben stehenden oder bewegten Bilder, die in den ›alten‹ Medien traditionelle Geschlechtervorstellungen transportieren, ebenso gut auf dem Monitor des heimischen Rechners erscheinen.

›Spielen und Lernen‹

Mit Begriffen wie (Geschlechter-)›Rollenspiel‹ und (Geschlechter-)›Maskerade‹ wird im Bereich der Computertechnologie traditionell zunächst einmal ein ganz anderer Bereich verknüpft, nämlich derjenige der klassischen netzbasierten Kommunikationsumgebungen der Chatrooms, MUDs und MOOs. [39] Aufgrund der Option, hier bei der Konstruktion eines ›Avatars‹ – eines ›Alter Ego‹, in dessen ›Identität‹ man mit anderen kommuniziert und interagiert – zwischen mehr als nur zwei Geschlechtsidentitäten wählen zu können, lassen sich die letzteren in der Tat als »Gender Identity Workshops« [40] bezeichnen: Als Erfahrungsräume also, in denen unter den Vorzeichen von Rollenspiel und Maskerade der Umgang mit Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten performativ erkundet werden kann. Wissenschaftliche Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass dies allein noch kein Grund ist, dem ›Cyberspace‹ ein subversives Potential zu unterstellen. So werden nicht nur die Begrenztheit stereotyperGeschlechterkategorien erfahren, sondern auch die Grenzen des Spiels mit Geschlechterrollen und –identitäten. Und wenn dies einerseits die Wahrnehmung dieser Grenzen schärfen und ihre kritische Reflektion unterstützen kann, zeigt sich doch auch, dass die üblichen geschlechtsspezifischen Zuschreibungen reproduziert und über das ›doing gender‹ zum Teil sogar verstärkt werden. Letzteres lässt sich umso mehr für jene Bereiche des Netzes konstatieren, die anders als die textbasierten Kommunikationsumgebungen mit visuellen Repräsentationen von Geschlecht aufwarten. Insbesondere im World Wide Web als einer »Arena der Repräsentation« [41] scheinen stereotype Darstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, wie sie auch in anderen »Massenmedien« kursieren, zu dominieren. [42] Angesichts der Tatsache, dass sich das World Wide Web in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem ›WeltWeiten Gewerbegebiet‹ entwickelt hat, verwundert es auch nicht weiter, dass alternative Repräsentationen von Geschlecht beziehungsweise Repräsentationen alternativer Auffassungen von Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten – so sie nicht ohnehin Teil wohl kalkulierter Marketingstrategien sind – randständig bleiben oder, an die ›Logik der Freak Show‹ anknüpfend, eine ähnliche Funktion erfüllen wie in den anderen Werbeträgern der Konsum- und Unterhaltungsindustrie.

Was aber könnte diese ›Logik der Freak Show‹ aushebeln? Möglicherweise eben jenes Moment, das auch in den textbasierten Kommunikations- und Spielumgebungen noch am ehesten dazu beizutragen vermag, stereotype Muster der Wahrnehmung und der Selbstwahrnehmung beziehungsweise der Aktion, Reaktion und Interaktion im Rahmen der traditionellen Geschlechterdichotomien zu queren: Die Erfahrung von Geschlecht als Konstruktion.

Wenn hierbei Rollenspiel und Maskerade, oder präziser gesagt: ein Rollenspiel, das Geschlecht als Maskerade erkenntlich werden lässt und als ›doing gender‹ in der Interaktion mit anderen erfahrbar macht, wichtige Vehikel sind, dann scheint an dieser Stelle ein Blick auf den Bereich der »Adventure«-Computergames nahe zu liegen: Computerspiele also, in denen die Spielenden in die Rolle einer Hauptfigur schlüpfen, um in Interaktionentweder mit programmierten oder aber von anderen Mitspielern aktivierten Figuren zu treten. [43] Allerdings sind die ›künstlichen Menschen‹, die hier als ProtagonistInnen und Stellvertreter-Figuren, also ›Avatare‹ der Spielenden agieren, in der Regel durch die Verkörperung von bis an die Grenze der Karikatur ausformulierten Geschlechterstereotypen gekennzeichnet – was sich wiederum besonders prägnant an einer jener Figuren aufzeigen lässt, die wir zuvor schon als Schwester der »Eve Future« kennen lernen konnten.

Neue Heldinnen?

Weibliche Heroinen, wie sie im Gefolge der bekanntesten unter ihnen, »Lara Croft«, die Bildschirme bevölkern, stellen zwar starke Kämpfernaturen vor; zugleich erfüllen sie jedoch vom Scheitel bis zur Sohle mit langen Beinen, Wespentaille, schmalen Schultern, Puppengesicht und vor allem anderen ›natürlich‹ ausladende Brüste das bekannte ›Barbiepuppen‹-Schema, wie es Unterhaltungsindustrie und Massenmedien der westlichen Welt seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger ungebrochen als Bild der mit ›Idealmassen‹ ausgestatten ›Idealfrau‹ propagieren. Nicht wenige von ihnen zitieren zudem direkt oder indirekt die tradierte Ikonographie idealisierte Frauenbilder, wie sie über die Kunstgeschichte überliefert ist. [44]

Nun ist die Künstlichkeit einer solchen Konstruktion in »Lara Crofts« Fall offensichtlich – was ihr in den Augen ihrer VerteidigerInnen Züge einer »post-gender Cyborg« (Haraway) [45] mit Identifikationsangeboten an SpielerInnen beiderlei Geschlechts verleiht. [46] Nichtsdestotrotz dominieren Markierungen einer stabilen und einheitlichen (weiblichen) Identität, die ihrer Interpretation als »Geschöpf einer post-gender Welt« deutlich widersprechen: »Laras Lebenslauf ist auf Stringenz, Widerspruchslosigkeit und das Ausleben ihrer wahren Bestimmung angelegt, ihr Verhalten ist vorhersagbar und wiederholt sich ständig, und ihre Übersexualisierung suggeriert eine essentiell vorhandene Weiblichkeit«. [47] So haben sie die Designer des Spiels mit einer Biographie versehen, die dem ›Imperativ des Anthropomorphismus‹ auch in Hinsicht auf eine menschliche Herkunft entspricht. [48] Ihrverstorbener Vater ist nicht nur das Vorbild für ihre Berufswahl, sondern spielt auch in der Rahmenhandlung der Spiele mehrfach eine Rolle. Auch passt sich der Umstand, dass sich die Spielfigur Lara niemals ganz nackt zeigt und keinerlei Relationen zu anderen Spielfiguren eingeht, die auf eine sexuelle Beziehung schließen lassen, zunächst einmal ebenso in eine heteronormative Perspektive ein wie der Umstand, dass sämtliche ihre Handlungen von den Spielenden – die schließlich nicht unmittelbar in Laras Körper stecken, sondern diesen dirigieren – gelenkt und kontrolliert werden müssen. Und wenn »Laras« ›Hyper-Sexiness‹ im Spiel selbst nicht in sexuelle Handlungen überführt wird, bleibt diese – quasi in jungfräulicher Keuschheit – umso wirksamer als Versprechen an den spielenden Voyeur erhalten. Kaum von ungefähr finden sich im Netz unzählige Fan-Seiten, auf denen Lara als Aktmodell und Softporno-Sternchen posiert, wie im Übrigen auch »Patches« – selbst geschriebene Programmteile – kursieren, in denen Lara einen Striptease hinlegt oder als »Nude Raider« gar ganze Spielsequenzen nackt bestreitet. [49] Und kaum von ungefähr zielen zahlreiche künstlerische Arbeiten darauf ab, eben diese Ambivalenzen der charismatischen Game-Heldin zu akzentuieren: So etwa, wenn Miltos Manetas in seinen minimalistischen Videos »Flames 1+2« (1997) kürzeste Spielsequenzen loopt, um Lara als Inkarnation des ihr implementierten Spielautomatismus wieder und wieder einen kampf- und sinnlosen Tod sterben zu lassen, wenn der Niederländer Rob van Oostenbrugge als »Lara@HAL« (2001) auf einem Hackertreffen posiert oder wenn die norwegische Gruppe »Motherbord« in ihrer Performance-Reihe »Lara Croft <listen:do>« (1999) [50] dazu auffordert, das Spiel mit Lara im Realraum des Alltags beziehungsweise im Raum eines Museums fortzusetzen. [51] Sowohl die Kreationen der Fans als auch diejenigen der KünstlerInnen lassen darauf schließen, dass Lara als sexualisiertes Objekt der Begierde, als ›belebte Puppe‹ wahrgenommen wird. Ebenso wie die »Patches« und Parodien der künstlerischen Appropriationen das Konventionelle der Konstruktion einer ›Kunstfrau‹ wie Lara akzentuieren, lassen sich natürlich auch Spiele erfinden, die den Spieß umzudrehen scheinen: So etwa, wenn die Künstlerinnen-Gruppe VNS Matrix ihre monströseHeldin »All New Gen« (1994/1995) ins Rennen schickt, die mit einer wilden Truppe von »DNA Sluts« auszieht, um die »Datenbanken von Big Daddy Mainframe« zu sabotieren. [52] Eine solche Heldin, die sich dezidiert an weibliche Spielerinnen wendet und als Monstrum denkbar schlecht zum ›Objekt männlicher Begierde‹ taugt, ist auf ihre Weise jedoch ebenso wenig geeignet, traditionelle Geschlechterdichotomien zu durchkreuzen.

Eher schon wäre ein Ansatzpunkt für eine Querung der Geschlechterverhältnisse darin zu vermuten, dass ein Spiel zur Identifikation mit der Spielfigur einlädt. Tatsächlich haben empirische Untersuchungen ergeben, dass männliche Spieler ihr Verhältnis zu ›ihren‹ weiblichen Spielfiguren nur zu einem vergleichsweise geringen Prozentsatz als Objektbeziehungsweise Begehrensbeziehung beschreiben, und sogar ein weitaus größerer Prozentsatz dort, wo eine Wahlmöglichkeit existiert, bevorzugt in die Rolle beziehungsweise den künstlichen Körper einer weiblichen Spielfigur schlüpft. [53] Als Begründung für diese Vorliebe wird jedoch nur in Ausnahmefällen eine Cross-Gender-Identifikation im eigentlichen Sinne angegeben. Vielmehr erhoffen sich Spieler von dem Geschlechtswechsel, sich auf diese Weise Vorteile im Spielverlauf verschaffen zu können, die auf dem Funktionieren von Weiblichkeitsstereotypen seitens der Mitspielenden basieren und sich beispielsweise in der Fehleinschätzung von Aggression und Stärke niederschlagen, die dann in Hilfsbereitschaft und Mitleid gegenüber dem scheinbar schwächeren Geschlecht ihren Ausdruck finden kann.

»Digital Drag«

Lässt sich dieser Begriff einer bewussten ›Maskerade‹, die sich also auf das Anlegen und Abstreifen eines Geschlechtskörpers bezieht, der seinerseits bereits als künstliches Konstrukt erkannt beziehungsweise verstanden wird, auch auf den Umgang mit Figuren wie »Lara Croft« anwenden? Und welches wären die Voraussetzungen dafür, dieser Maskerade ein subversives Potential abzugewinnen? Tatsächlich schlägt die feministische Game- Theoretikerin und -Praktikerin Anne-Marie Schleiner vor, »Lara Croft« und andere Protagonistinnen einer künstlich konstruierten›Über-Weiblichkeit‹ von vornherein unter den Vorzeichen eines »Drag« zu betrachten: einer überzeichneten »Weiblichkeit« also, in deren Anlegen und offensiver Zurschaustellung über das Bewusstsein um die Konstruiertheit der Rolle hinaus bereits ein Moment der Parodie des kopierten Weiblichkeitsstereotyps enthalten sein kann.

In diesem Sinne würde es nun nicht genügen, eine Figuration wie Lara als »female monster of Frankenstein« zu verstehen, als »die monströse Ausgeburt einer Wissenschaft, eine idealisierte weibliche Automate, ein formbares und durchtrainiertes Techno-Püppchen, das von einem und für einen männlichen Blick gemacht ist.« [54] Und auch Positionen, die in den Game-Sheroes ein postfeministisches Rollenmodell für eine starke, letztlich aber mit der herrschenden Ordnung der Geschlechter konforme ›Weiblichkeit‹ sehen oder deren Querung bestenfalls dort einen Spielraum zugestehen, wo die Kunstfiguren zur Projektionsfläche für ein lesbisches Begehren werden, würden aus dieser Perspektive zu kurz greifen. Zwar entfällt in Adventure-Games wie »Tombraider« die für MUDs und MOOs charakeristische Interaktion mit anderen SpielerInnen, und die Avatar-Identität muss weder aufgebaut noch kann sie selbst hergestellt werden. Vielmehr handelt es sich um eine bereits industriell vorgefertigte ›Haut‹, die mit den gleichen fixen Konturen ausgestattet ist wie ein durch dominierende gesellschaftliche Dogmen sanktioniertes Rollenmodell. Gleichwohl erfordert ein erfolgreicher Spielverlauf doch, dass der Körper und die ›Persönlichkeit‹ der Kunstfigur navigiert werden, Spieler oder Spielerin in Laras Haut schlüpfen und für beziehungsweise als Lara agieren müssen.

Allerdings ist, wie bereits Judith Butler am Beispiel von Jennie Livingstones Film »Paris is Burning« und dessen ProtagonistInnen ausgeführt hat, selbst ein Agieren im Zeichen des »Drag« nicht zwingend als Kritik oder gar Subversion normativer Geschlechterkategorien intendiert. [55] Entsprechend lässt sich auch die »Terminal Identity« [56] der ›künstlichen Menschen‹ weder pauschal auf einen Affirmations- noch auf einen Subversionsmechanismus festschreiben, sondern oszilliert zwischen dem, was als Simulation eines Menschenbildes bereits hergestellt –man könnte sagen: ›als Skin‹ vorgegeben – ist und ebenso gut zur Identifikation wie zur Distanzierung einladen kann, und dem, was über Prozesse der Identifikation und der Interaktion diskursiv hergestellt wird, wenn die ›Haut‹ übergestreift und mit ›Leben‹ gefüllt beziehungsweise als ›künstliches Lebewesen‹ wahrgenommen und in Handlungsverläufe eingebunden wird. Tatsächlich kann eine solche Konstellation, wie Randi Gunzenhäuser mit Blick auf die Fetischisierung des ›weiblichen‹ Körpers von Kunstfiguren wie »Lara Croft« bemerkt, »[…] durchaus zu spannenden Widerstandsmodellen führen, innerhalb derer das selbstreflexive Spielen mit Identitäten und Begehren Platz hat. […] Dann wird das Posieren als Fetisch zum strategischen Spiel, die Identifizierung mit der Position des technologischen Fetischs wird zur subversiven Gegenerzählung. […] Im Zweifelsfall kommt es darauf an, wer den Text rezipiert« [57] – und, so wäre zu ergänzen, wer ihn unter welchen Vorzeichen performativ ›zur Sprache bringt‹. Entsprechend mag die spielerische Identifikation mit einem künstlichen Geschlechtskörper ebenso wie seine Funktionalisierung durchaus mit dem Wissen einhergehen, dass das Geschlecht in zweifachem Sinne ›Maskerade‹ ist – deren Funktionieren gerade darauf basiert, dass die ›Maske‹ nicht die Kopie eines Originals ist, sondern der Klon einer stereotypen Konstruktion. Eine Hinterfragung oder Kritik des der Konstruktion zugrunde liegenden Modells schließt dieser Prozess zwar nicht aus – aber weder schließt er sie zwangsläufig ein, noch setzt er sie als selbstverständlich voraus.

›Making Sex‹

Aus den bis hierher gemachten Beobachtungen lässt sich mit Blick auf den Imaginationsraum digitaler Kreation und die Frage nach der (Re-)Produktion von Geschlechtern für die Bilder künstlicher Menschen, die uns in eben diesem Rahmen vorzugsweise begegnen, zusammenfassend folgendes ableiten: Zwar geben Herstellerinnen und Hersteller ›künstlicher Menschen‹ gerne vor, diese nach dem Vorbild der Natur zu schaffen – und sie reklamieren für ihre Geschöpfe nicht nur den Status eines ›künstlichen Lebens‹, sondern nicht selten sogar den einer ›verbesserten Natur‹. Wenn in diesem Zuge Körpergeschlecht, Geschlechtsidentität undGeschlechterrolle – und damit Geschlechterunterschiede insgesamt – hypertroph formuliert werden, hat dies allerdings zur Konsequenz, dass ›künstliche Menschen‹ letztlich eine monströse Geschlechtlichkeit verkörpern. Und zwar unabhängig davon, ob sie Geschlecht als Waffe einsetzen – also als männliche oder weibliche Kampfmaschine phallisch armiert sind oder als ›femme fatale‹ von entwaffnender Sexualität mit verheerenden Folgen funktionieren – oder ob sie ein Furcht einflößendes, weil in realiter unerreichbares Idealbild so genannter ›Männlichkeit‹ beziehungsweise ›Weiblichkeit‹ vorstellen. Der monströsen Geschlechtlichkeit dieser ›Horror Pictures‹ kommt, der ›Logik der Freak Show‹ folgend, die Rolle eines Gegenbildes zur Normalität der herrschenden Geschlechterordnung mit stabilisierenden Funktionen zu. Wo also läge demgegenüber ein möglicher, für das digitale Medium spezifischer Ansatzpunkt für andere oder veränderte Perspektiven? Er könnte, wie gezeigt, im Potential eines »Doing« beziehungsweise »Being Gender« unter den Vorzeichen einer digitalen Maskerade liegen – das jedoch nur dann greift, wenn diese Maskerade nicht bereits kalkulierter und kalkulierbarer Teil einer Spielfunktion ist und damit quasi mechanisch zum Einsatz kommt.

De-monstrationen des Monströsen

Eine abweichende Wahrnehmung beziehungsweise ein subversiver Umgang mit diesen Bildern ist wiederum nur dann möglich, wenn der Horror in seiner Funktion als Funktion innerhalb der ›Logik der Freak Show‹ erkannt und dieser Mechanismus seinerseits zur Schau gestellt beziehungsweise als Mechanismus erfahrbar gemacht wird.

Ein künstlerisches Projekt, das auf dieser Ebene ansetzt, ist Francesca da Riminis »Doll Yoko«: Eine webbasierte, mit Hypertexten und Bildern arbeitende, non-lineare Narration, die verschiedene Formationen monströser und verniedlichter künstlicher Weiblichkeiten bis zur Ununterscheidbarkeit ineinander verflicht, indem sie das im Zuge misogyner Geburtenkontrollmaßnahmen getötete Mädchen zur Wiedergängerin werden lässt. In seinen multiplen Erscheinungen werden eben jene Stereotypen, die normalerweise – als Projektionen »over her dead body« ausgetragen – zu einer restriktiv und normativenFestlegung auf traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen beitragen, offensiv und in einer Art alle Aufnahmekapazitäten sprengenden Überschussproduktion zum Leben erweckt: ›Rock the Horror Picture Show‹.

Weiterführen kann umgekehrt allerdings auch die Auseinandersetzung mit den Limitierungen, denen Cyborg_Configurationen deshalb unterliegen, weil der ›Imperativ des Anthropomorphismus‹ offenbar nach wie vor eine entscheidende Voraussetzung für unsere Identifikation mit den Bildern ist, die wir uns von Cyborgs machen.

In Victoria Vesnas Projekt »Bodies INCorporated« (1995ff.) werden wir dazu eingeladen, uns einen zweiten Körper als »Ersatz-Existenz« im Cyberspace zu schaffen. Hierbei gibt es in den Kategorien »Körpergeschlecht«/»Geschlechtsidentität« (Sex Assignment) und »Sexuelle Präferenz« (Sexual Preference) zwar eine ganze Reihe von Alternativen, die in etwa der in MUDs und MOOs üblichen Angebotspalette entsprechen. Sobald es jedoch um die Gestaltung des Körper-Bildes geht, sind uns wohlbekannte enge Grenzen gesetzt: Die Vielfalt der kombinatorischen Möglichkeiten, die daraus entstehen, dass wir den Ersatzkörper Stück für Stück zusammensetzen und mit allerlei Texturen und Geräuschen ausstatten dürfen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konturen selbst nachgerade klassisch begrenzt bleiben: Männlich, weiblich oder kindlich darf ein Körperteil geformt sein – wenn wir nicht ganz auf es verzichten wollen. Ob wir die entstandenen ›Avatare‹ nun als »stellvertretend Andere« (»significant other«) oder als »Alter Egos« oder gar als »sexuelle Gespielen« verstehen: was wir schaffen, sind ›Freaks‹ – belebte Projektionsflächen, die bei aller scheinbaren Vielfalt des Monströsen eben so abstoßend und begrenzt ausfallen wie die Stereotypen, aus denen sie zusammengesetzt sind.

Insofern wundert es wenig, dass sich viele der ›Ersatzkörper‹, von ihren Schöpferinnen und Schöpfern vernachlässigt, vergessen oder verworfen, schließlich auf der Nekropole von »Bodies INCorporated« wieder finden. Dieser Umstand verweist auf eine Frage, die bereits in der Mehrzahl der literarischen und filmischen Schöpfungsgeschichten von künstlichen Menschen eine zentrale Rolle spielt und zugleich ihrAbsurdum ist. In Anlehnung an den Titel eines Essays von Margaret Morse, »What Do Cyborgs Eat?« [58] , könnte sie lauten: How Do Cyborgs Die?. Während die Kreaturen doch dazu geschaffen werden, der Sterblichkeit des Menschen ein Schnippchen zu schlagen, konzentriert sich die zentrale Handlung der Narrrationen – von der »Golem«-Legende über »Frankenstein« bis hin zum »Blade Runner« und zum »Terminator« – schon bald darauf, wie den Realität gewordenen »monströsen Versprechen« der Garaus zu machen ist. Wenn dies nicht gelingt, steht – wie in »Terminator III« – das endgültige Ende der Menschheit zur Disposition. Ein ›Happy End‹ scheint es hingegen nur unter den Vorzeichen einer Rückkehr zur ›condititio humana‹ geben zu können. Jedenfalls, wenn man der Lehre vom Primat des ›ganzen Menschen‹ glaubt.

Die Lehre der Monstren

Aus dem direkten Umgang mit ›künstlichen Körpern‹, wie ihn Computerspiele, aber auch künstlerische Arbeiten gestatten, die es uns ermöglichen, unsere Cyborg-Kondition im ›virtuellen Raum‹ zu erkunden, können wir demgegenüber etwas anderes lernen. Eine Identifikation mit der Position des ›Freaks‹ beziehungsweise des ›Monstrums‹ – das Anlegen seiner Haut – ist dabei nicht so entscheidend wie das Erkennen der Funktion, die sie als fetischisierbare Oberfläche hat, die eben nicht ›Hülle‹ für einen ›Kern‹, sondern bereits alles ist: Das ›Ganze‹ ist ein Bild, das – die ›alten Geschichten‹ beziehungsweise die tradierten ›Narrationen‹ reproduzierend – ›zum Leben erweckt‹ beziehungsweise mobilisiert werden soll.

Hieraus ergibt sich schließlich auch ein weiterer entscheidender Hinweis darauf, weshalb die Bilder ›künstlicher Menschen‹ überhaupt so prominent mit Merkmalen körperlicher Geschlechtlichkeit ausgestattet werden: Wenn sie personifizierte Beweise einer Zeugung »ohne Frau«, das heißt, aus der ›Retorte‹ beziehungsweise dem Speicher eines Computers sind, sie also zu ihrer Reproduktion ebenso wenig einer biologischen Zweigeschlechtlichkeit bedürfen wie zu ihrer Produktion einer biologischen Zweigeschlechtlichkeit bedurft wurde, dann können wir davon ausgehen, dass ihr ›Körpergeschlecht‹ ganz dezidiert dem Anrufen und Vorzeigen einer›Weiblichkeit‹ oder ›Männlichkeit‹ dient. Und zwar einer ›Weiblichkeit‹ oder ›Männlichkeit‹, die weniger irgendeiner Realität von ›Frau‹ oder ›Mann‹ entspricht, als vielmehr eine Vorstellung von dem repräsentiert, was ›Weiblichkeit‹ oder ›Männlichkeit‹ sein sollte.

Gerade im Bezug auf die Schnittstelle Geschlecht können wir jedoch auch noch etwas anderes lernen: Nämlich – Judith Butlers gleich lautende These bestätigend –, dass nicht nur »Gender«, sondern auch »Sex« unter den Vorzeichen der Maskerade betrachtet werden muss. [59] Anders gesagt: In dem Moment, wo von seiner Funktion für die biologische Reproduktion abstrahiert wird, erweist sich das Körpergeschlecht in seiner spezifischen Rolle für die Bedeutungsproduktion als Funktion der Repräsentation eines Menschenbildes, das mit den ›künstlichen Menschen‹ belebt beziehungsweise revitalisiert, »over their dead bodies«, ›geisterhaft‹ zum Leben erweckt werden soll. Und dies wiederum ist eine Erkenntnis, die sich von der ›Virtual Reality‹ digital generierter Bildräume nicht nur auf diejenige kunst- und kulturgeschichtlicher Narrationen von ›künstlichen Menschen‹ allgemein, sondern auch auf jede andere Wahrnehmungsrealität übertragen lässt.

© Medien Kunst Netz 2004