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ThemenBild und TonSound affects
Über meine Arbeit
Jobs bei AFA und EAI
Stephen Vitiello

http://medienkunstnetz.de/themen/bild-ton-relationen/sound_affects/

Wenn ich auf meine Werke zurückblicke [1] , dann kann ich mein Kunstschaffen in drei Phasen unterteilen: Ich bin in New York aufgewachsen und habe seit den späten 1970er Jahren in Punk- und Rockbands gespielt. Nachdem ich meinen Abschluss am College gemacht hatte, versuchte ich herauszufinden, wie ich meine Interessen – Literatur, Film und Musikmachen – am besten umsetzen konnte. Ein Freund machte mich mit Barbara London bekannt, der Video-Kuratorin des Museum of Modern Art (New York) und schlug vor, ich solle doch ein Praktikum im Bereich Videokunst machen. Dadurch wurde ich auf die Werke von Künstlern wie z. B. Nam June Paik, Bill Viola oder einem experimentellen Video-Programm aus Japan etc. aufmerksam. Als ich das MoMA verließ, bekam ich einen Job bei der American Federation of Arts (AFA), die Avantgarde-Filme vertrieb. Da ich jeden Tag dort sitzen und mich um diese Avantgarde-Filme kümmern musste, dachte ich mir Musik dazu aus. Ich war technisch gesehen noch nie ein besonders guter Musiker, aber ich bemühte mich sehr.

Als ich also anfing, mir diese Soundtracks zu Filmen von Maya Deren und Stan Brakhage auszudenken, liehmir ein Freund ein Vier-Spur-Aufnahmegerät, und ich begann, gewissermaßen imaginäre bzw. abstrakte Soundtracks zu komponieren. Etwa nach 1 1/2 Jahren bekam ich einen weiteren Job, diesmal bei Electronic Arts Intermix (EAI), einer Institution, die der wahrscheinlich weltweit führende Vertrieb von Videokunst ist. Sie repräsentiert eine ganze Reihe der bekanntesten Videokünstler. Als ich bei EAI anfing, beschäftigte ich mich zunächst mit Recherchen und stellte fest, dass ein Großteil der Künstler, die mich besonders interessierten und die sich mit Videokunst – die ich aus dem Blickwinkel der visuellen Kunst betrachtet hatte – befassten, einen musikalischen Background hatten. Damals fing ich an, Videokunst als audiovisuelles Medium zu begreifen.

Zusammenarbeit mit Tony Oursler

Ich schloss Freundschaften mit Künstlern und Tony Oursler war der erste, der meine Arbeiten sehen wollte. Ich glaube, er wusste, dass kein Mensch einfach nur bei einem Vertrieb arbeitet. Die meisten Leute, die irgendeinen Verwaltungsjob haben, machen noch irgendetwas anderes. Und so gab ich Tony einige Vier-Spur-Tapes, kurze Instrumental-Stücke. Dann hörte ich erst einmal lange Zeit gar nichts mehr von ihm. Ich begann, seinen Namen zu verfluchen und zu denken: »Dieser Bastard, er traut sich nicht einmal, mir zu sagen, dass sie zu nichts taugen.« Als ich irgendwann einmal bei Freunden zu Besuch war, erhielt ich plötzlich um ein Uhr nachts einen Anruf. Ich nahm den Hörer ab und sagte: »Hallo!« – »Es ist großartig! Lass uns nach Holland fahren!«… Er lud mich ein, mit ihm zusammen an einer Vier-Kanal-Video- und Klang-Installation zu arbeiten. Ich wusste zwar nicht so genau, was eine Vier-Kanal-Video- und Klang-Installation ist, aber ich dachte: »Egal, er ist einer meiner Lieblings-Videokünstler, es ist okay.« Er arbeitete an einer Raumarbeit mit dem Titel »Crypt Craft« (1989), und ich versuchte, einen Song für diesen Raum zu schreiben. Er sagte: »Nein, Du musst an das Werk selber denken, bei dem es um Geschichten geht, die mit Gift zu tun haben, und um Erinnerungen an Spukerscheinungen, um gespensterhafte Räume. Du musst an den Raum als einen Ort denken, und nicht als einen Ort, an dem Dein Song zu hören sein soll.« Und erst ganz langsam begriff ich es. Ich schrieb vierverschiedene Musikstücke, die jeweils in einer anderen Geschwindigkeit gespielt wurden und jeweils nicht in der richtigen Tonart bzw. Tonlage im Verhältnis zueinander komponiert worden waren. Und plötzlich merkte ich, wie sie in dem Raum mit seinen Bildern zum Leben erweckt wurden. Und ich begriff, dass es nicht um mich und meinen Song ging bzw. nicht um ihn und seine Bilder ging, sondern um das, was bei dem Aufeinandertreffen der beiden entsteht. Ich arbeitete danach noch mehrere Jahre mit Tony und mit anderen Videokünstlern zusammen. Ich habe in den 1990er Jahren ungefähr 100 Soundtracks für Filme, Videos und Tanzperformances von verschiedenen Künstlern komponiert. Ich weiß nicht, ob Du Tonys Werke kennst. Er ist vor allem für seine Projektions-Werke aus den letzten zehn Jahren bekannt, die oftmals aus diesen Puppen bestehen. Meistens geht es dabei um das Gesicht einer Frau, das auf eine Stoff- Puppe projiziert wird. Das Gesicht meiner Frau Tracy Leipold ist in vielen Fällen auf diesen berühmten Puppen zu sehen. Sie ist vor allem für ihre Arbeit als Darstellerin bekannt. Tony macht eine extreme Nahaufnahme von ihrem Gesicht auf Video und projiziert diese auf die Puppen. Sie weint und schreit, sie simuliert Orgasmen und wird verrückt, sie spricht mit fremden Zungen bzw. nimmt die Stimmen von mehreren Personen an.

Die Geschichte der Videokunst ist mit dem Ton verbunden

Ich denke, es ist wichtig, dass die Geschichte von Video wirklich ganz eng mit dem Ton verbunden ist, dass Ton und Bild bei einem gelungenen Video kaum zu unterscheiden sind, oder besser gesagt, dass man sich das Eine kaum ohne das Andere vorstellen kann – und dass der Soundtrack sehr eng an die Bilder, an den Schnitt usw. gekoppelt ist. Wenn man viele Werke und viele Künstler, die Pioniere der Videokunst waren (vor allem im Hinblick auf die Verarbeitung von Bildern, nicht so sehr was die Performance oder das Konzeptuelle angeht), genauer betrachtet, so findet man eine ganze Reihe Künstler, die von der elektronischen Musik her kommen. Nam June Paik war Musiker, bevor er Videokünstler wurde, Steina Vasulka hatte eine klassische Ausbildung als Violinistin, Woody Vasulka hat sich mit elektronischer Musik beschäftigt und Bill Viola hat mit David Tudor bei »Rain Forest«,einer faszinierenden Klang-Skulptur, zusammengearbeitet und Tony Oursler hat auch Musik gemacht. Er hat mit Mike Kelley in einer Band namens The Poetics gespielt und mit Laurie Anderson Schlagzeug gespielt, als er im College war. Aber ich meine, er hätte mir erzählt, dass sie ihn irgendwann rausgeworfen hat, weil er kein Rhythmusgefühl besitzt. Paik hat die Vorstellung beschrieben, dass er auf die gleiche Weise Bilder spielerisch mit seinen Händen und Fingern erzeugt, wie er früher Töne auf einem Klavier oder einem Synthesizer gespielt hat. Ein anderer Künstler, dessen Werke ich wirklich so sehr schätze, dass ich allein ihretwegen zu Film- oder Video-Festivals gehe, war Jem Cohen. Jem arbeitete vor allem mit Rock’n Roll-Bands wie R.E.M. und anderen zusammen und drehte diese experimentellen Musik-Videos. Wir haben mehrere Projekte gemeinsam durchgeführt und einige Konzerte miteinander bestritten.

Ich meine, es wurde für mich als Musiker ganz normal, mit Videokünstlern zusammenzuarbeiten. Viele Künstler, zu denen ich mich hingezogen fühlte, ließen bereits eine musikalische Qualität in ihrem Werk erkennen. Unter allen meinen Arbeiten war nicht ein herkömmlicher Soundtrack. Ich war bei keinem einzigen Projekt beteiligt, bei dem jemand mit einem fertig geschnittenen Film zu mir kam und sagte: »Hier, schreib mir Musik für die Bilder.« Es war immer so: Jemand hat eine Idee, vielleicht sogar schon einige Bilder. Ich fange an, Klänge zu entwerfen, und es kann sogar sein, dass sie Aufnahmen machen, während sie meine Songs hören. Häufig arbeitet man auch parallel zueinander, wobei es zu einem ständigen Austausch kommt. Sie kommen vielleicht ins Studio und geben Kommentare ab, oder ich bin bei den Filmaufnahmen präsent. Letztlich entsteht dabei eine wirklich enge Zusammenarbeit, bei der Bild und Ton zueinander passen. Das ist auf jeden Fall ein Luxus. Wenn ich mit einem kommerziellen Unternehmen arbeiten würde, wäre das gar nicht möglich. Aber wenn ich mit Künstlern arbeite, und besonders mit Künstlern, die ich mag und mit denen die Zusammenarbeit gut funktioniert hat, ist es oft so, dass wir längerfristig kooperieren.

Der Ton beeinflusst alles, was du siehst

Die kommerzielle Art des Arbeitens konzentriert sichwie die meisten herkömmlichen Arbeitsweisen auf das Bild. Es gibt viele Projekte, bei denen monatelang an den Bildern gearbeitet wird, und dann heißt es auf einmal: »Wir haben kein Geld mehr, die Zeit rennt uns davon, wir brauchen schnell einen Soundtrack.« Dabei wirkt sich die Musik auf alles aus, was man sieht. Ich habe vor einiger Zeit einen Soundtrack für den Videokünstler Seoungho Cho komponiert. Eine Frau verfasste einen Aufsatz über das Werk und beschrieb das Video, das aus ziemlich abstrakten Bildern und einem Ambient-Soundtrack bestand. Es wird nichts dargestellt, es gibt keine Story und keine Schauspieler. Die Autorin hatte sich allein auf die Bilder konzentriert. Sie beschrieb das Video als sehr braun und dunkel, als zermürbend und langsam. Einige Zeit, nachdem sie diese Kritik veröffentlicht hatte, merkten Cho und ich, dass der Soundtrack wirklich nicht besonders gut funktionierte – wir sahen uns das Video auf einigen Festivals an und waren uns einig, dass es ziemlich deprimierend war. Ich komponierte einen neuen Soundtrack, und als die Kritikerin den Film dann ein zweites Mal sah, sagte sie: »Wow, das sieht ganz anders aus als das, an das ich mich erinnere! Dies hat Feuer und ist sexy – ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass das so aussah!«. Was sie aber nicht begriffen hatte: Es handelte sich um einen anderen Soundtrack. Und der Soundtrack beeinflusste die Art und Weise, wie sie die Bilder wahrnahm. Und sie verfügte nicht einmal über die nötige Eloquenz, um ihren Gedanken über Klänge Ausdruck zu verleihen.

Eine Sprache des Tons

Wir kommen letztlich an einen Punkt, an dem wir eine Sound-Sprache entwickeln, die aber immer noch eine enge Beziehung zum Film hat. In London fand eine Konferenz mit dem Titel »The School of Sound« statt, und dort hielten z. B. der französische Theoretiker Michel Chion und der berühmte Sound-Designer Walter Murch Vorträge. Aber es geht dabei in erster Linie um Sound im Verhältnis zu Kinofilmen. Ich bin allerdings auch hier der Meinung, dass die Beziehung zwischen Sound und Videokunst bzw. den neuen Medien ganz anders aussieht. Ich glaube, dass es nur ganz wenige Menschen gibt, die versucht haben, sich zu Sound im Verhältnis zu Videokunst zu äußern bzw. dieses Verhältnis zu beschreiben. Das Interessante bei einerZusammenarbeit zwischen einem anderen Künstler und mir ist die Art und Weise, wie wir ein gemeinsames Vokabular zu finden versuchen. Mit Eder Santos, einem Video-Künstler aus Brasilien, habe ich über 40 Projekte gemeinsam durchgeführt. Obwohl wir so weit voneinander entfernt leben, existiert so eine Art gegenseitiger telekinetischer Verbindung. Er kann mich aus Brasilien von seinem Autotelefon aus anrufen und sagen: »Ich mache ein Video über Amsterdam, es wird sehr schnell und hektisch aussehen!«. Und ich denke, okay, ich weiß genau, wie es nach seiner Sicht der Dinge aussehen wird, und er hat auch schon Klänge, die ich komponieren soll, im Kopf. Keines unserer Projekte gleicht dem anderen, aber es ist wie bei einem Blind Date. Man trifft jemanden und beginnt sich zu fragen: Haben wir so etwas wie eine gemeinsame Sprache? Und dann arbeitet man an dieser Sprache, oder aber es ist kein gutes Date, und man gibt auf. Aber manchmal kann dieses Scheitern auch für etwas Aufregendes sorgen, und diese Kritik erzeugt dann auch wiederum etwas Interessantes. Jeder Mensch hat ein anderes Vokabular und die bei diesem Prozess der Zusammenarbeit entstandene Sprache ist immer einzigartig.

Kollaborationen und Hierarchie

Die Frage zur Zusammenarbeit und der Hierarchie ist wirklich ganz zentral hier. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass ich mir all das, was ich als Künstler weiß, im Rahmen von Kooperationen erarbeitet habe. Dabei muss man allerdings sehr vorsichtig sein: Man muss die Bedingungen für die Kooperation so früh wie möglich festsetzen. Letztlich ist der Grund, warum ich aufgehört habe, in solch großem Umfang mit visuellen Künstlern zusammen zu arbeiten, der, dass es dabei immer zu einer Hierarchie kommt. Ich hatte mit einem Künstler, mit dem ich engen Kontakt hatte, kurz vor einer Performance von Musik und einer Video-Projektion einen heftigen Streit. Er sagte: »Du musst die Musik ändern, das sind meine Bilder!« Ich sagte: »Nein, das ist unser Werk!« Bei diesen Kooperationen sagt immer jemand, lass uns an diesem Projekt arbeiten, und ich schreibe die Musik, die ich ganz allein konzipiere. Und sogar dann schneiden und verändern sie meine Musik, entwerfen den Aufbau, und letztlich ist es dann doch ihr Video mit meiner Musik. Genau das ist die Hierarchie, das heißt, diehierarchische Beziehung zu den gleichen Leuten, die dann wieder auf mich zukamen und sagten: »Mein Video hat den ersten Preis bei diesem Festival gewonnen.«. Dann denke ich: »War das nicht unser gemeinsames Projekt?«.

Das Problem der Hierarchie besteht darin, dass letztlich Videokunst und experimentelle Videoarbeiten überwiegend im Kontext von visueller Kunst betrachtet werden. Bei vielen Kooperationen in der Videokunst ist Geld nicht so wichtig und hängt einfach vom Projekt ab. Als ich noch in Bands gespielt habe, hat manchmal jemand gefragt: » Kannst du Musik für mich schreiben?« Und ich sagte »Okay, und kannst du dann vielleicht einen Videoclip für meine Band drehen?«

Von Fluxus lernen

Ich habe das ganze Leben lang das Glück gehabt, dass ich einige großartige Menschen kennen gelernt habe, und das sogar oft, bevor ich wusste, wer sie waren. Als ich bei EAI arbeitete, lebte Nam June Paik ganz in der Nähe und kam vorbei. Er schaute mich an, ignorierte mich dann einfach und ging wieder weg. Nachdem ich schon drei Jahre bei EAI arbeitete, tauchte er eines Tages auf, als gerade ein Video des australischen Videokünstlers Peter Callas auf dem Monitor zu sehen war. Er lachte und sagte: »Oh, sehr gut. Was ist das?«. Ich sagte: »Das ist von Peter Callas und die Musik ist von mir.« Er schaute mich an und sagte: »Okay, gehen wir zu Blimpy’s!«. Blimpy’s ist so eine schreckliche amerikanische Sandwich-Fast-Food-Kette. Wir gingen also zu Blimpy’s, und dort sagte er: »Sie sind Musiker, ruf Mr. Bad Brain an [gemeint war die großartige Post-Punk-Rock-Band Bad Brains] und bitte sie, mit mir zusammen zu einem Video von Joseph Beuys zu spielen. Okay, viel Glück!«. Und damit begann unsere Zusammenarbeit, die 12 Jahre dauerte. Ich habe zwar nie für Nam June Paik als Assistent bei Ausstellungen gearbeitet, aber er hat mich sogar in den Credits als Mitarbeiter erwähnt. Aber meistens ließ er mich an Dingen arbeiten, die ich eigentlich gar nicht machen wollte bzw. von denen ich keine große Ahnung hatte. Einmal sagte er: »Morgen beginnt ein Fluxus-Festival, es finden einen Monat lang Fluxus-Performances statt. Nimm alles auf Video auf!« Und ich sagte: »Ich bin Musiker, ich habe keine Kamera, ich weiß nicht einmal,wie ich damit umgehen soll!«. Und er sagte: »Nein, nein, nein, dies wird dich zu einem besseren Musiker machen!« Und er hatte recht. Die Konfrontation mit Fluxus, das heißt, mit einer ganz anderen Art von Performance, das Erlernen des Umgangs mit einer Videokamera, das Lernen, auch andere Blickwinkel einzunehmen, all das hatte auch etwas mit meinem Hören zu tun.

Auf der Rückfahrt von seinem »Konzert mit den Bad Brains« (1991) und der Projektion des Videos von Joseph Beuys gab Paik mir eine Lektion mit auf den Weg. Er sagte: »Mit dieser Performance habe ich versucht, Raum und Zeit zu durchqueren. Ich habe Joseph Beuys von den Toten zurück zu den Lebenden geholt, von Deutschland nach New York, von der Old School zur New School. Ich habe versucht, das junge Publikum der »Bad Brains« an meiner Welt teilhaben zu lassen.«. Es war eine wunderbare Erfahrung, ihn bei dieser Performance mit dieser unglaublich intensiven und lauten Band zu sehen und zu hören. Er hatte sein Klavier auf den Kopf gestellt und schlug mit dem Hammer darauf ein. Alle fünf Minuten schaute er auf seine Uhr, ging dann auf die Bühne und sagte »Okay, Mr. Bad Brain« und bat sie, von der Bühne herunter zu gehen, unabhängig davon, ob sie mitten in einem Song waren oder nicht. Sie legten ihre Gitarren weg und gingen von der Bühne. Er ließ Joseph Beuys’ schaurige Bilder und Klänge fünf Minuten lang auf der Projektionswand laufen. Dann schaute er wieder auf seine Uhr und sagte: »Okay, Mr. Bad Brain« und bat sie wieder auf die Bühne. Er schnitt das Material live. Das Gleiche trifft sogar auch auf die Art und Weise zu, wie er ein Video schneidet. Es ist so, als würde man jemandem dabei zusehen, der wie verrückt ein Klavier traktiert. Er legte einige Videos in verschiedene Geräte ein und betätigte einen Schalter. Alles was er tat, war, dass er darauf diese musikalischen Rhythmen klopfte, die jedes Band in den Bildrahmen einführten und wieder herausnahmen. Ich erinnere mich, dass ich ihn zum Schluss fragte: »Sollen wir diese Schnitte festhalten?«. Und er sagte: »Nein. Es ist alles schon fertig.« Es war eine Performance, und das wird es auch bleiben. Er tippte auf den Schnitt-Knopf: in-out-in-out-in-inin- out-out-out usw. Das war alles, und es war außerordentlich befreiend. Vor allem war es, als schaue man jemandem dabei zu, wie er Musikmacht. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, und dass mir Kooperationen so viel bedeuten, das habe ich von ihm.

Performance

Auch darüber habe ich eine Menge gelernt: Dass eine Performance einer Sache eine gute Sache ist. Dass es bei allem, was man studiert, gemacht und gelernt hat, immer darauf ankommt, dass der Schaffensprozess das ist, was das Publikum miterlebt, wenn man vor einer Gruppe von Menschen etwas aufführt bzw. wie in diesem Fall, wenn man mit Instrumenten und Geräten arbeitet. Wenn ich also meine eigenen Performances aufführe, ist der Großteil von dem, was man sieht, mein Versuch, die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ich habe ca. 10 CDs mit meiner Musik dabei bzw. mit Musik, die ich zusammen mit anderen Künstlern und Musikern gemacht habe, aber es ist kein einziger Song bzw. keine Komposition dabei, die ich genauso noch einmal erschaffen könnte. Es geht immer um eine Beziehung: entweder um die Beziehung zu einem Raum und um die Improvisation zur Akustik des Raumes oder um eine Art von Live-Austausch mit einem anderen Musiker, vergleichbar mit den Dialogen, die ich mit visuellen Künstlern produziert habe. Als ich bei EAI gearbeitet habe, wurde ich so sehr mit der Geschichte der Videokunst konfrontiert und war mir so sehr dessen bewusst, was andere machten, dass ich dachte: Ich kann nicht einfach als visueller Künstler neu anfangen. Und ich wusste einfach, dass ich mit Sound etwas Einzigartiges erschaffen konnte. Wenn ich Bilder produziere, merke ich sofort, dass ich etwas erzwingen will. Ich kann mich sehr intensiv mit Sound beschäftigen, aber gleichzeitig spüre ich gleichzeitig auch immer wieder, dass es viel eher meiner eigenen Ausdrucksweise entspricht.

Installationen

Meine Installationen haben einen dauerhafteren Charakter, wobei es sich wiederum um einen Dialog mit dem Raum handelt. Die erste Installation, die mir den Durchbruch verschaffte, ist genau auf diese Art und Weise entstanden: Ich hatte 1999 sechs Monate lang ein Atelier im 91. Stock des ersten Turmes des World Trade Centers gemietet. (»World Trade Center Recordings: Winds after Hurricane Floyd«) Ich begriff,dass ich eine Beziehung zwischen den Bildern jenseits der Fenster und dem, was draußen passierte, herstellte und dass ich die Klänge ins Innere transferierte. Es handelte sich dabei wiederum um ein audiovisuelles Werk, das wie ein Video- bzw. wie ein Kinofilm aussah, aber ein live erzeugtes Environment war. Dabei brachte ich mein eigenes Wissen in Bezug auf Sound in Form einer Art Beziehung zu den Bildern bzw. in Form einer Art Sensibilität für die Bilder und den Raum mit ein. Nach Ende der sechs Monate organisierten wir eine Ausstellung. Die Besucher kamen in das Atelier und sahen, was sich draußen abspielte, und die im Außenraum erzeugten Klänge wurden live in den Raum übertragen. Es war seit 30 Jahren das erste Klangkunst-Werk, das das Whitney Museum für seinen Bestand gekauft hat. Sie erhielten ein einziges Foto von meinem Atelier sowie die Geräusche in Form eines Surround-Sound-Mixes. Ich begab mich in den Keller des Whitney Museum, also dorthin, wo die Techniker mit den weißen Handschuhen herumhängen. Sie sagten zu mir: »Was sollen wir mit dem Foto machen, ist das das Kunstwerk?«. Ich antwortete: »Nein, das ist nur die Dokumentation, die Geräusche sind das Kunstwerk.« Wenn man es ausstellt, dann sollte es sich in einem sehr dunklen Raum befinden, in dem man das Foto als Hinweis auf die Fenster betrachten sollte. Aber dann sollte man am besten seine Augen schließen und einfach nur zuhören.

Vor kurzem bin ich nach Brasilien zum Amazonas gereist und habe zusammen mit einer Gruppe Yanomami-Indianer Aufnahmen für eine Ausstellung in der Cartier Foundation in Paris gemacht (»Yanomami: Spirit of the forest«, 2002). Das Werk ist im Museum in einem dunklen Raum zu sehen, aber lässt immer noch den Kontext der ganzen Ausstellung erkennen, nämlich die Kultur der Yanomami-Indianer. Selbst wenn ich reine Sound-Kunstwerke entwerfe, bin ich mir bewusst, dass es sich dabei immer um Geräusche handelt, die in Beziehung zu einem bestimmten Kontext stehen, wobei es sich in der Regel um ein Bauwerk handelt – um einen Ausstellungsraum etc.

Internet

Ich habe auch Arbeiten für das Internet produziert. Bei den Internet-Projekten [2] geht es darum, das Internet als ein Environment für Sound zu betrachten –vergleichbar mit Online-Archiven, die aus Umweltgeräuschen bestehen. Wer Interesse hat, kann ins Internet gehen und Ozeanen, Vögeln oder Fröschen zuhören. Es ist faszinierend darüber nachzudenken, was manche Menschen dazu bringt, Archive anzulegen. Ich habe ein Archiv entdeckt, das von einem Mann stammt, der die Geräusche von Giftfröschen aufnimmt. Außerdem gibt es eine religiöse Website, wo jemand einfach nur Gewitter aufgenommen hat. Man kann auf diese Seite gehen und den Geräuschen von Gewittern zuhören, aber für ihn ist dies seine Verbindung zu Gott. Für mich ist die Vorstellung von dem, was wir hören wollen und was wir der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen, von großem Interesse – genauso wie die Tatsache, dass man das Internet als einen Ort betrachtet, an dem man einem Geräusch zuhören kann, vor allem einem natürlichen Geräusch, das in einer natürlichen Umgebung vorkommt.

Diskussion

Frage aus dem Publikum: Warum haben Sie keine reinen audiovisuellen Projekte entworfen?

SV: Als ich bei EAI gearbeitet habe, wurde ich so sehr mit der Geschichte der Videokunst konfrontiert und war mir so sehr dessen bewusst, was andere machten, dass ich dachte: Ich kann nicht einfach als visueller Künstler neu anfangen.

DD: Du hast eine Überdosis Videokunst abbekommen!

SV: Ja, und ich wusste einfach, dass ich mit Sound etwas Einzigartiges erschaffen konnte. Wenn ich Bilder produziere, merke ich sofort, dass ich etwas erzwingen will. Ich kann mich sehr intensiv mit Sound beschäftigen, aber gleichzeitig spüre ich auch immer wieder, dass es viel eher meiner eigenen Ausdrucksweise entspricht. Einmal habe ich ein visuelles Kunstwerk entworfen. Jemand bat mich um einen Beitrag zu einer auf Filmen basierenden Konzert-Reihe, und ich wählte drei Minuten aus dem Film »Twister« aus, jenem schrecklichen Hollywood-Film. Ich ließ ihn in Zeitlupe ablaufen, so dass jede einzelne Einstellung zu einer eigenen Szene wurde. Ich komponierte eine Art Partitur für das Video und projizierte es dann im Großformat auf die Leinwand.

DD: Vielleicht bist Du ein Paradebeispiel für einenGenerationenwechsel. Du erwähntest all diese Künstler, die als Musiker angefangen haben und letztlich Videokünstler wurden. Du hingegen hast schon recht früh eine Überdosis an Video verabreicht bekommen und konntest letztlich nichts anderes werden als Sound-Künstler!

© Medien Kunst Netz 2004