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ThemenBild und TonMontage/Sampling/Morphing
Montage / Sampling / Morphing
Zur Trias von Ästhetik / Technik / Politik
Diederich Diedrichsen

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Sampling war in den Diskursen zur Bildenden Kunst und vor allem zur Pop-Musik in den 1990er Jahren ein reichlich diskutiertes und mit allerlei theoretischen Investitionen verbundenes Schlüsselwort [1] , das u. a. die Frage der Fälschung, der Anmaßung von Autorschaft, des Zitats in seinen unterschiedlichen rhetorischen Rahmungen zusammenzufassen schien, um sie auf die scheinbar solide Grundlage einer technischen oder technologisch neuen Situation zu stellen: der Digitalisierung. Als Sampling wurden indes auch Probleme diskutiert, die es manifest oder latent schon lange vorher gegeben hat, auch ohne Digitalität. Fragen, die mit der Benutzung schon fertigen Materials in den Künsten zusammenhängen und damit zurückgehen auf die erste Generation technisch gestützter Künste, nicht mehr von Handschrift und Handwerk herleitbarer Künste an der letzten Jahrhundertwende. So wie es für das digitale Zeitalter einen pessimistischen Gegenbegriff gab, die Simulation, so gab es auch für den techno-optimistischen Vorläufer des Sampling, die Montage diverse überwiegend pessimistische Gegenvorstellungen, u. a. den, dass die technisch gestützten Künste in erster Linie Künste derReproduktion seien – und damit immer auch Künste der Fälschung.

Dass die Fälschung schon in einem ganz naheliegenden Sinne aber nicht nur als eine Strategie des Diebstahls, sondern wie jeder andere Diebstahl auch produktiv als ein Akt der Aneignung verstanden werden kann, verbindet die techno-optimistischen Redeweisen, die der Montage, ebenso wie die des Sampling. Von diesen Hoffnungen und Investitionen in diese Kategorie möchte ich hier zunächst reden: von der mit Montage klassisch und Sampling jüngst verbundenen Idee der Aneignung als Strategie unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen: als Vergesellschaftung exklusiv bürgerlichen Eigentums, als Strategie der Subversion und schließlich als paradoxe Strategie der Selbstverwirklichung.

Bild: Montage und Moderne

Die Montage war in verschiedenen Bedeutungen auch ein Zauberwort des Modernismus. Es sollte einen Zusammenhang oder eine Versöhnung von künstlerischem, gesellschaftlichem und technischem Fortschritt herbeizaubern. Wenn die berühmten pejorativen und pessimistischen Kategorien »Kulturindustrie« und »Spektakel« für den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Kunst und Massenkultur einerseits, zwischen gesellschaftlichem und technischem Fortschritt andererseits standen, war die Montage, vor allem in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, die Kategorie, die ein optimistisches Verhältnis bestimmen sollte.

Es lohnt sich dabei, etwas genauer zu schauen, welche Aufgaben die Montage eigentlich lösen sollte. Investitionen in den Begriff gab es nämlich an den verschiedensten Fronten: am prominentesten im Film, wobei man mit Montage insbesondere den frühen sowjetischen Film in Verbindung bringt. Gerade im Umfeld des sowjetischen Kunstaktivismus findet man den Begriff der Montage aber auch im Zusammenhang mit anderen Künsten, vor allem dem Grafik-Design, etwa bei der Gestaltung von Plakaten und Zeitschriften. [2] Für Zeitschriften- und Plakatgestaltung spielt der Begriff der Montage auch in anderen einflussreichen modernistischen Bewegungen der 1920er jenseits der sogenannten freien Kunst eine Schlüsselrolle [3] , etwa bei den dokumentarisch orientierten amerikanischenFotografen, die sich über die Präsentation ihrer Arbeit in Büchern, generell über das Verhältnis von Fotografie und Kontext Gedanken machten. [4] Die Fotomontage erscheint etwa bei László Moholy-Nagy als Verfahren konstruktivistischer Gestaltung in den verschiedensten Kontexten (des Bauhauses wie seiner eigenen Arbeit, im Film wie in dem von ihm erfundenen Genre »Typofoto«) und Ausbaustufen. [5] Schließlich ist die Montage ein Verfahren, das einen zentralen Platz in Walter Benjamins Überlegungen zu neuen Fassungen künstlerischer Produktivität einnimmt – sei es produktionsästhetisch gedacht als kinematographisches Verfahren oder eines bei der Herstellung von Tafelbildern, sei es rezeptionsästhetisch in der Theorie des Chocs oder allgemeiner in der Theorie des dialektischen Bildes und ganz allgemein als das moderne künstlerische Verfahren schlechthin. [6] Bei Peter Bürger steht sie für die Werkkonstitution in der Avantgarde, aber in ganz unterschiedlichem Sinne als rein technisches Verfahren oder als Integration »scheinloser Trümmer der Empirie« (Theodor W. Adorno) in der bildkünstlerischen Collage. [7] Aber auch bei Adorno kommt die Montage nicht nur in diesem einen Sinne vor, sondern auch sehr pessimistisch als ein typisches Kennzeichen der Kulturindustrie. [8]

Bei vielen Verwendungen des Begriffs gehen deskriptiver und normativer Gebrauch durcheinander, ebenso wie seine emphatische Aufladung mit seiner nüchternen Rückführung auf die Notwendigkeiten neuer künstlerischer Techniken. Dabei wird oft – mehr oder weniger unbewusst – von Künstlern und Theoretikern ein Zusammenhang zwischen den mit dem Film und anderen montierten Kunstwerken auftauchenden technischen Vorgängen mit einer normativ-ästhetischen Forderung an alle Künste konstruiert. Bürger bemerkt zurecht, dass die Montage natürlich gerade beim Film (und überall dort, wo sie zur für die Gattung konstitutiven Praxis gehört) auch gerade der Illusion zuarbeiten kann. Darüber hinaus fallen andere Inkonsistenzen gleich auf: Montage taucht einerseits als Moment des Unversöhnten in der (kritischen) Bearbeitung des Gegenstands auf, als Moment des Unüberbrückbaren, andererseits als gerade die Vermittlung von Gegensätzen mit dem Ziel einer dialektisch synthetischen Schließung durch dieBearbeitung.

Montage als aufklärerische Praxis: Offenlegung von Herkunftskontexten

Zieht man dennoch aus diesen unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs der Montage ein Substrat, so bleiben bestimmte Ideen übrig, die sich als besonders zählebig erweisen. Zum einen stellt man fest, dass die Montage ein Verfahren ist, das die neuen Technologien und die mit ihnen verbundenen Verfahren für einen aufklärerischen und aufgeklärten Umgang mit Gestaltungsmitteln nutzt. In der Montage sind die Nähte genau wie die Herkunftskontexte erkennbar und damit auch die gestalterische oder künstlerische Praxis selbst. Alle Ursprünge und Quellen sind freigelegt und können nicht mehr als Geheimnis behandelt werden, weder im Sinne von Fundstück oder Eingebung. Darüber hinaus könnte man einer so verstandenen Montage das Argument unterschieben, nicht der Ursprung zähle, sondern die Kombination von Materialien egal welchen Ursprungs. Oder man könnte das Argument so wenden, dass die Montage als der wahre Ursprung des Kunstwerk zu betrachten sei. Schließlich könnte man jede hierarchische Abstufung des Materials nach Ursprünglichkeitsgraden schlechthin verwerfen. In jedem Falle lassen diese Argumentationen die Kategorien des Primären in der Kunst kollabieren.

Das erkennbar Gemachte der Kunst ist nun nicht nur Ergebnis einer neuen Verwendung neuer Mittel, es ist auch eine Verwendung, die nicht mehr kaschiert – als meisterlich, als natürlich, als bloße Reflexion von Wirklichkeit. Nein, Position und Mittel der Produzenten sind markiert und ausgestellt und stehen so ihrerseits zur Diskussion. Montage heißt also Nutzen der neuen Technologie für etwas aus gesellschafts-ethischen Gründen (Aufklärung, Demokratisierung) und aus ästhetisch-ethischen Gründen (Desillusionierung) Wünschenswertes, also etwas, das auch ohne die Technologie schon als Ziel formulierbar gewesen wäre, das aber erst durch die Benutzung neuer Technologie möglich oder zumindest stark erleichtert zu werden scheint. Dabei spielt gerade das dialektische Verhältnis des durch Film und Foto gesteigerten Illusionismus-Koeffizienten und die gleichzeitige desillusionierende Ausstellung und so Aneignung derfür die Illusionen notwendigen Mittel eine große Rolle.

Zum anderen stellt man fest, dass durch die Benutzung der neuen Technologie – Foto und Film – die Kunst die auf individuelle Fähigkeiten zugeschnittenen Legitimationsdiskurse des 19. Jahrhundert verlässt: die Diskurse der Sensibilität, der Seltenheit, des Dekadenten und Empfindsamen, der Könners und des Meisters – und die Kunst so die größte narzisstische Kränkung für das bürgerliche Individuum und anderer bekannter Humanismen akzeptiert, ja feiert: die Unterwerfung unter ein Objektives. Hier ist dieses Objektive aber seltener die Politik, die Politisierung, der Fortschritt, sondern die Technik selbst. Denn da man über das Objektivum schlechthin – Gesellschaft – dennoch subjektiv streiten kann, wählt man einen anderen Begriff des Objektiven, um sich, vielleicht, von hinten auch an das gesellschaftlich Objektive anschleichen zu können: den technischen oder naturwissenschaftlichen Fortschritt – übrigens eine Strategie, die auch heute noch weit verbreitet ist. Der klassische Fall für die in Wahrheit absolute Unklarheit und Interpretationsbedürftigkeit solcher Unterwerfung unter oder Legitimation durch solche neuen Technologien ist der Futurismus [vgl. Luigi Russolo] bzw. der Konstruktivismus [vgl. Gustav Klucis]: erkennbar daran, dass sowohl rechtsradikale und linksradikale Versionen möglich waren. Entscheidend aber an dieser zweiten Version ist, dass man nicht – mit Hilfe der Technologie und durch sie legitimiert – das tut, was man sowieso forderte, ästhetisch oder politisch begründet, sondern aus der Gestalt der Technologie ableitet und den Fortschritt nun nicht mehr an schon bekannten Kriterien ausrichtet, sondern umgekehrt die schon bekannten, ästhetischen und politischen Grundlagen dieser Kriterien und deren Humanismus verwirft, zugunsten des objektiven Angekommenseins der Technologie. Dabei ist der Illusionismus nun gerade kein Problem, sondern Ziel auch der Montage soll es, etwa in den Entwürfen von Moholy-Nagy sein, die Illusion zu perfektionieren – natürlich nicht im Sinne eines absichtlichen Betruges, sondern als Erweiterung des Reichtums künstlerischer Darstellungsformen, die aber mit der Illusion nicht vorhaben zu brechen. In diesen beiden Fassungen der Montage gibt es jedoch immer noch ein ganz entscheidendes traditionelles und so gesehen auchfalsifizierbares Moment: das des Bauens. Montage baut zwar aus neuem Material, baut mit neuen Werkzeugen und mit anderen und genaueren, illusionistischeren oder antiillusionistischen Welt- und Selbstbezügen, aber sie baut, sie konstruiert. Der Künstler spricht womöglich schon nicht mehr von sich selbst als Künstler, er ist ein Ingenieur, Polier oder Architekt geworden, die Baustelle funktioniert arbeitsteilig. Aber ihr Ziel: eine technisch neuartige hochproduktive Welt oder der Kommunismus sind Ziele der Konstruktion. Wo also Montage strategisch ist, ein Ziel hat, fällt sie natürlich doch wieder einer Logik von Original und Fälschung, von erster Quelle und beziehen muss, sondern – modernisiert – auch arbeitsteilige Produktionsform in Film und Architektur meinen kann.

Montage als Mittel zur Konstruktion und gleichzeitigen Destruktion

In einer dritten Fassung des Montage-Optimismus, die man aus Walter Benjamins mehr oder weniger verstreuten Bemerkungen zur Montage zusammenstellen kann, wird aber noch ein weiterer Aspekt der Montage benannt, der landläufig vielleicht eher mit der kunstinternen Gattungsbezeichnung Collage verbunden ist: der Dialektik von Konstruktion und Destruktion.

In Erweiterung des nur antiillusionistisch oder illusionsverstärkend gedachten Charakter der Montage in den anderen Entwürfen ist für Benjamin darüber hinaus wichtig, dass mit jedem montierenden Akt auch eine demontierende Tat begangen wurde, dass immer dort, wo per Schnitt ein Kontinuum unterbrochen und mit einem anderen zusammengefügt wird, auch immer ein Zusammenhang, ein Bild untergeht – und zwar zu Recht untergeht: als falsche Idylle, falsche Ganzheitlichkeit. Montage würde demzufolge nicht nur zwei Hälften auf sichtbare – und daher antiillusionistische – Weise aneinanderfügen, sondern gleichzeitig zeigen, dass für den neuen Zusammenhang ein anderer, alter untergehen muss.

Drei Montage-Begriffe

Wir haben also drei Grundpositionen: (1) Markierung des Schnittes im Sinne antiillusionistischer Ästhetik, (2) antihumanistischer Futurismus im Dienste einer wie auch immer gedachten Verbesserung derKünste oder ihrer Ablösung, durchaus auch im Sinne einer Verbesserung der Illusion und schließlich (3) markierender Anti-Illusionismus plus Ablösung und Destruktion der alten Idylle, also eigentlich die Addition des sowjetisch-linken und des futuristisch-apolitischen Montage-Gedankens bei Benjamin.

Uns sind diese Haltungen auch heute noch vertraut, wo die Grundmethode jeder Montage längst den Namen einer populären Funktion eines jeden Textverarbeitungsprogramms bekommen hat: Copy & Paste. Die Grundfragen ästhetischer Praxis, die ich eben anhand des Montage-Problems skizziert habe, sind dem 20. Jahrhundert treu geblieben. Nur dass die Position eins, das kritisch aufklärerische Markieren der eigenen Verfahren zum Standard bürgerlicher Kultur geworden ist, spätestens seit Brecht seinen Weg auch in eine rein kulinarische Geschmacksästhetik gefunden hat. Die antihumanistische Verbesserung der Künste, also die zweite Position, taucht nicht mehr manifestartig als Bestandteil der Avantgarden auf, sondern als das übliche überwältigungsästhetische Prinzip der Kulturindustrie. Dass es eine solche geben würde war ja zu Zeiten des aufkommenden Montage-Diskurses so nicht absehbar. Aber auch in der bürgerlichen Hochkultur gibt es rituell diese Lust an der narzisstischen Kränkung des Künstlersubjekts, wenn etwa Enzensberger in den 1950ern davon spricht, dass der Dichter ein Ingenieur werden muss und die konservativen Avantgardisten Benn und Jünger der Nachkriegskultur die – aus der konservativen Ethik der 1930er kommende – Idee der Kälte des Künstlers gegenüber seinem Material als ›fortschrittlich‹ schmackhaft machen wollen.

Auch die dritte, die der Einfachheit halber Benjamin zugeschriebene Position erweist sich als einigermaßen konstant und taucht immer wieder auf, insbesondere bei der Wiederbelebung der Avantgarden nach dem zweiten Weltkrieg, etwa im Situationismus (Guy Debord), bei Cobra (Asger Jorn), bei Robert Rauschenberg, ja in der geradezu unfreiwillig komisch wörtlichen Interpretation Benjamins durch die sogenannte De-Collage (Wolf Vostell) und verschwindet allenfalls in der Pop-Art. Oder wird dabei von einer anderen Strategie aufgehoben. Wenn man will, kann man in den 1960er Jahren das Ende der Montage darinfassen, dass die wesentlichen Elemente der dritten, der Benjaminschen Idee der Montage in zwei Teile zerfallen: Zum einen stehen die Pop-Art und spätere Entwicklungen wie Fotorealismus für das Präsentieren von technologisch verstärkt realistischem oder indexikalischem Material aus der Wirklichkeit im Kunstkontext (ohne Illusionsabsicht) – ohne allerdings dieses mit etwas anderem zu montieren als mit dem neuen Kontext. Zum anderen kann man die Strategien der Concept-Art als sozusagen den reinen Schnitt, die reine Ausstellung der Tools, reine Markierung beschreiben – ohne dass noch etwas Konkretes geschnitten worden wäre oder ohne dass es erheblich gewesen wäre, dass und was geschnitten und montiert worden wäre. Wer also in der Montage einen Teil des Projektes sah, die von der Kulturindustrie beanspruchten und teilweise auch entwickelten Methoden zu erobern, musste mitansehen, dass dieses Verfahren sich auch zu Tode siegen konnte. Montage war in der Concept-Art gewissermaßen an einer Hyperkritik oder einem Maximum der Markierung und Selbstaufklärung angekommen, wo künstlerische Kritik und Aufklärung – überspitzt gesagt – im Angesicht ihrer realen Machtlosigkeit zur Selbstfetischisierung wurde.

Ton: Pop-Musik und Montage

In einem ganz anderen Sinne hat die Pop-Musik die Montage und die in sie gesetzten Hoffnungen beerbt. War es für die klassische Montage zentral, in der künstlerischen Arbeit einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Sorten von für die künstlerische Bearbeitung zur Verfügung stehendem Material herzustellen, den der methodische Schnitt und das montierende Einfügen oder Kleben (daher auch die Techno-euphorische Medieninteressiertheit und –fixiertheit der klassischen Moderne) herbeiführten, so ging es für die Strategien der Pop-Musik von Anfang an darum, sich in die Welt hineinzumontieren. Kennzeichnend für Pop-Musik war von Beginn an – und darin stellt sie eine Radikalisierung von Avantgarde-Ideen interessanterweise ebenso wie von Strategien der Kulturindustrie dar –, dass das Kunstwerk, die Performance, der Song, das Votivbild des Stars mit in die Welt genommen werden und den Bezirk des geschützten Raums der Kunst verlassen. Diese vielleicht in Ansätzen immer schon vorhandeneStrategie populärer Künste wurde in der Nachkriegszeit industrialisiert und professionalisiert, so dass sie zugleich den Siegeszug einer zweiten Kulturindustrie nach der Filmindustrie ermöglichte, aber gleichzeitig auch die Voraussetzung dafür schuf, dass sich an die Pop-Musik Hoffnungen von Gegenkulturen hefteten.

Dabei war die Rolle der Produzenten und Autoren von Pop-Musik nur partiell wichtig. Ihre Verantwortung ging selten sehr weit, und der Erfolg des Modells der popmusikalischen Montage von artifiziellem und welthaltigem Material hing eng mit der Unbewusstheit, ja Passivität und dem Laissez-faire der Beteiligten zusammen. Zusammenhangsbildung in der Pop-Musik hatte so etwas von der post- oder antihumanistischen Konzeption futuristischer Modelle – nur ohne die Technologiebegeisterung, bzw. ohne die Technologiebegeisterung an einer systematisch so entscheidenden Stelle. In ihren internen Selbstbildern und Selbstverständigungen operierte die Pop-Musik zunächst noch mit klassischen Vorstellungen von Genie, Ausdruck und Künstlertum, von selbstidentischen und selbstverantwortlichen großen Einzelnen, die aus sich schöpften – es war kein Problem oder allenfalls ein rituell in Form von Ausschlüssen und Opferungen prozessiertes Problem, dass dieses Selbstverständnis ganz wesentlich ein Selbstmissverständnis war. Erst als sich in den 1970ern und 1980ern ein konzeptkünstlerisches und sekundaristisches Arbeiten auch innerhalb der Selbstverständigungsdiskurse der Pop-Musik abzeichnete, wich man von diesem Modell ab. Man sprach nun offen von der Zitiertheit und Prä-Fabriziertheit der pop-musikalischen Elemente – ohne genau zu wissen wie man damit stilistisch umgehen sollte.

Die Montage-Dichotomie der 1970er Jahre: Elektronik vs. Punk

Eine klare Dichotomie stellte sich aber schon während der 1970er heraus: ein futuristischposthuman agierender Elektronik-Diskurs versus einem eher »wütend« zitierenden und montierenden Prä- bis Post-Punk-Kontinuum. Der elektronische Futurismus stand zunächst zwischen einer Bewunderung der Maschine als Zugang zu höheren, gern auch spirituell höheren Sphären in Hippie- und Drogen-Tradition auf der einen Seite [vgl. »Kosmische Kuriere« [9] ] und derAffirmation der elektronischen Maschinen als Zeichen eines zivilisatorischen Fortschritts, von Modernität und technisch gelösten ehemals gesellschaftlichen Konflikten auf der anderen Seite (vgl. Kraftwerk). Beide waren aber ganz klar ganzheitlich und nicht montagehaft. Im Gegenteil: es schien gerade ein Zeichen der neuen elektronischen Kultur in den 1970ern und auch noch beim Synthi-Pop der frühen 1980er zu sein (z. B. Tangerine Dream) dass sie das hässlich Gebastelte und Amateurhafte, das Pop-Musik solange bestimmt hat, zugunsten eines ganzheitlichen und atmosphärisch geschlossenen Sounds hinter sich lassen würde. Gerade deswegen stand auch Synthesizer- Benutzung in der Pop-Musik sehr lange in dem Ruf nicht nur einer nicht gerade politisch progressiven Seite der Pop-Musik, sondern auch als sozusagen der Null-Punkt der Montage und auch der Umschlag ursprünglich ambivalenter futuristischer Konstellation ins rein Reaktionäre.

Doch auch die elektronische Disposition wurde ein Bestandteil der ersten in weiterem Sinne selbstreflexiven Pop-Musik im Zuge von Punk und New Wave. In dieser Zeit zeichnete sich gleichzeitig jener fundamentale Bruch des Verhältnisses von Material und Methode, Objekt und Verarbeitung ab, den man als digitale Revolution bezeichnet hat. Dies war der Moment, wo die elektronische Klangerzeugung plötzlich einem anderen Paradigma unterlag. Nicht mehr wie in der klassischen Rede von unendlicher Vielfalt der Klangreichtums, die ursprünglich den Legitimationsdiskurs des größten Teils elektronischer Musik und insbesondere elektronischer Pop-Musik bestimmte, ging es um neue und erweiterte Töne, sondern das Versprechen der digitalen elektronischen Klangerzeugung war das des perfekten Imitats anderer nichtelektronischer Instrumente.

Damit war die vorher schon beschriebene Entwicklung der elektronischen Popmusik hin zum ästhetisch Reaktionären nun auch noch durch einen in einem doppelten Sinne illusionistischen Aspekt weiter verschärft worden. War die Synthesizer-orientierte Popmusik der 1970er schon illusionistisch, indem sie Kontinua produzierte, Schnitte unsichtbar machte, aber doch immer in einem erkennbar elektronisch artifiziellen, postinstrumentalen Sinne, so sollte nunauch noch die Illusion perfektioniert werden, dass man historisch frühere, nicht elektronische Klangerzeugungsmittel hören sollte. Die ersten Interfaces, die das digitale Produktionsdispositiv Sampling verfügbar machen sollten, warben damit, natürliche Instrumentalklänge täuschend echt reproduzieren zu können. Das lag daran, dass das, was man als Sampling bezeichnete nichts anderes war als das digitale Verfahren der Musikaufnahme und vom Begriff her Sampling im physikalischen Sinne sogar noch viel allgemeiner benutzt wurde – als nämlich generell ein Verfahren, so viele Daten eines Kontinuums zu sammeln, die so wenig Speicherplatz wie möglich benötigten und doch das Kontinuum für menschliche Sinne oder andere Rezeptoren so täuschend naturgetreu wie möglich erscheinen zu lassen. Dafür bestimmte man eine Sampling-Rate, die die Anzahl der nötigen Zugriffe pro Zeiteinheit festlegte, die für einen bestimmten Industriestandard Gültigkeit haben sollten.

Ton: Sampling und Postmoderne

Wir wären also mit jenem Musiker, der einzelne Saxophon-Töne sampelt und dann per Emulation daraus an einem Keyboard-Interface ein Saxophon-Solo macht sozusagen am Nullpunkt der Montage angekommen: bei einem die Trägheit der Sinne nutzenden Illusionismus, der nun aber nicht nur seine Schnitte versteckt, sondern auch noch versucht, ein historisch früheres Stadium der Produktion und der Technologie zu simulieren. Doch die Gegenposition in der Pop-Musik, der Glaube an das sozusagen genuin konstruktive Tool, die elektrische Gitarre und die dazugehörige Ideologie vom unmittelbaren Ausdruck, war von Anfang an weder in der Lage, den genuin intermedialen Charakter von Pop-Musik zu verstehen, noch war ihr – nun in der Tat die Produktionsdimension mitausstellender und zur Aneignung einladender – Gebrauch in der Punk-Kultur in der Lage, anders als symbolisch und kurzfristig tatsächlich Produktionsmittel und Verfahren wiederanzueignen. Einigermaßen erfolgreich war das allenfalls interessanterweise auf der ökonomischen Ebene, durch die Entstehung sogenannter Independent Label. Aber die im marxistischen Paradigma ganz auf die ökonomischen Produktionsmittel konzentrierte kritische Pop-Musik übersah zunächst, dass medial und technologisch der so immerhin eingeschränktangeeignete Bereich nicht mehr wirklich im Zentrum der pop-musikalischen Entwicklung stand. Vor allem aber war das Problem der Gitarre, der man Phallokratie, Authentizismus und alle möglichen anderen Ideologien nicht zu Unrecht schon angehängt hat, nämlich dass sie ein nur fetischistischer, zu einem einzelnen Tool verdichteter Ersatz für das war, was eigentlich im Zentrum jeder Pop- Musik steht: das Inszenieren einer mediatisierten Wirklichkeit innerhalb der Wirklichkeit, eine kontinuierliche Montage von Rolle und Person, Referent und Zeichen – nicht die Montage zweier Zeichen, die wir im Kino haben.

Sampling als (wieder) anti-illusionistische Zitier-Maschine

Ausgerechnet am Nullpunkt der Montage wurde man interessanterweise bei dem trüben Simulationstool Sampling fündig. Man konnte nämlich den Sampler nicht nur zum Simulieren benutzen, besonders ideal war er für das Zitieren, das Einschneiden und Einmontieren fremden und eigenen Materials, das man ohne Qualitätsverlust – illusionistisch eben – von einem anderen Ort entnehmen konnte. Diese Verbindung – Verbesserung der illusionistischen Dimension einerseits, Verbesserung der Schneide- und Klebemöglichkeiten andererseits – war fast wie eine Wiederbelebung der techno-politisch-ästhetischen Konstellation der ersten Montage-Euphorie. Und auch hier war die Entmachtung eines lange dominierenden Künstler- Typus mit einer Ermächtigung zu einem neuen Zugriff, zu einer sehr konkreten Eingriffsmöglichkeit auf einer niedrigschwelligen Stufe verbunden. Beim Sampling wie bei der Montage gibt es immer die zweiteilige Situation, dass ein neues kulturindustrielles Tool, eine neue Technologie eine alte Künstlergeneration obsolet werden lässt, gleichzeitig aber das Versprechen entsteht, eine neue Generation von Künstlern habe nun nicht nur den historisch adäquaten Zugang – gegenüber der alten, sondern auch den direkten Zugang – unter Umgehung der und gegen die Kulturindustrie. Diese doppelte Konstruktion liegt auch in der sowjetischen Technologie- und Montage-Euphorie der 1920er Jahre vor: Wir haben den Apparat und sind dadurch einerseits neu und andererseits unabhängig von den Produktionsmittelbesitzern. Hier wäre also wieder dieTrinität des ästhetischen, technologischen und politischen Fortschritts.

Sampling und Postmoderne

Hinzu kam bei der historischen Sampling-Euphorie, die man von den mittleren 1980er bis zu den frühen 1990er Jahren findet, auch eine Idee der Adäquatheit zwischen kultureller Epoche und technologischem Tool: Der Sampler, der bald als Zitiermaschine begriffen und verwendet wurde, galt als die typische Technologie der Postmoderne, als ideales Werkzeug zur Verwaltung von Uneigentlichkeiten. Auch dabei kann man eine Parallele zur futuristischen wie sowjetischen Montagebegeisterung erkennen. Auch dort gab es ein Gefühl für eine enge und genuine Beziehung zwischen dem historischen Projekt des Kommunismus (bzw. des Faschismus, bzw. des Ersten Weltkriegs und seines mechanisierten Militarismus) mit den neuen künstlerischen Technologien. Dieses Gefühl beruhte natürlich, wie bis zu einem gewissen Grad auch beim Sampling, auf der suggestiven Kraft des Faktischen technologischer Interfaces und ihrer vermeintlichen Objektivität, die dann stets etwas Kulturelles als historisch wahr, zwangsläufig oder im Recht bestätigt.

Wenn man näher hinsieht, waren das aber auch bei der Montage nicht nur zutiefst unterschiedliche historische Prozesse, die höchstens sehr entfernt mit den spezifischen Technologie-Einsatz der Montage-Kunst zu tun hatten, auch beim Sampling gab es einen Einsatz der Zitiermaschine in ganz verschiedene Richtungen. So gab es bei sich subversiv verstehenden Akteuren, etwa Negativland oder KLF (Kopyright Liberation Front) und später im Zuge der sogenannten Plunderphonics [10] , einer Praxis mit Samples als vollen, erkennbaren Zitaten zu arbeiten, die sich durch den erkennbaren und mitausgestellten Schnitt in neue Kontexte gebracht sehen – meistens, um zum einen das kontextversetzte Klangobjekt kritisch zu exponieren, und um zum anderen durch den ausgestellten Schnitt die illusionistischen Ströme der Kontinuität der Musik anzugreifen. Zwei klassische Ziele der Montage also, deren ästhetische und kommunikative Mechanik sich durch die Digitalisierung nicht einen Deut geändert hat. Allenfalls kann man sagen, dass sie digital leichter und handlicher zu bewerkstelligen sind.

Im HipHop übernahm das Sampling die auffälligste methodische Neuerung der Popmusik der 1990er, die Cut & Mix Techniken der HipHop-DJs. Diese wurden nun ohne besondere handwerkliche Geschicklichkeit verfügbar. Dazu konnte man, wenn man wollte, die Ausstellung der Schnitte und des Gemachten modifizieren. Allerdings war die Verwendungsweise des Zitats und des montierenden Schnittes in seinem Einsatz und seinen Absichten im HipHop genau denen der linken Montage – sei es benjaminisch, sei es sowjetisch – entgegengesetzt, ohne aber einem der anderen Ziele der historischen Montage der Avantgarden zu ähneln. Denn beim HipHop ging es zumindest in den ersten Jahren nicht um den Angriff auf das falsche Kontinuierliche und um die Dekontextualisierung hegemonialer Klangobjekte, sondern um Rekonstruktion unterbrochener Kontinuitäten afroamerikanischer Geschichte als Musikgeschichte und um die Rekontextualisierung der musikalischen Spuren dieser Geschichte in der neusten afroamerikanischen Musik. Dieses Ziel ist vor allem zwischen 1987 und etwa 1995 in einer Fülle von ästhetischen Vorgehensweisen evident gewesen und zuweilen auch programmatisch artikuliert worden. Insbesondere galt das natürlich für die häufige Verwendung von Reggae-, historischen Funk- und Jazz-Samples [11] . Heute ist diese Praxis eher eine minoritäre, die es aber gerade im Underground-HipHop noch gibt. Wir brauchen jetzt nicht über die Sonderfälle Drum & Bass oder neue digitale, elektronische Musik zu reden. In allen spielt Sampling zwar technisch eine große Rolle, und zuweilen wird das auch bei Künstlern, die eine selbstreflexive oder medienreflexive Praxis vertreten, im musikalischen Objekt thematisiert. Aber sie sind nur noch auf einer sehr allgemeinen Ebene mit der historischen Euphorie verbunden, die in den späten 1980ern mit dem Begriff Sampling verbunden war und – eben ähnlich wie in den Zehnern und Zwanzigern mit Montage – eine künstlerische Strategie als historisch im Recht weil technologisch im Recht wähnte.

Bild + Ton: Montage und Sampling

Nun muss für diese Dreigliedrigkeit ästhetisch-technologisch-historisch auch jedes Element tatsächlich vorhanden sein. Dass wir es mit einer neuenTechnologie zu tun haben, wenigstens einem neuen Interface, sei unbestritten, und ebenso wenig ist zu leugnen, dass es eine neue Kunst jeweils gab, neue Akteure, neue Praktiken – was man dagegen im Falle Sampling diskutieren kann. Was war die historische Entwicklung, auf die sich Sampling so bezog wie Montage auf Kommunismus – oder im selteneren Fall auf Faschismus und Militarismus? Ich habe vorhin gesagt, die Postmoderne oder der Postmodernismus konnte sich aufs schönste technologisch objektiviert fühlen, aber der war ja nicht unbedingt eine historische Entwicklung wie Kommunismus und Faschismus, eher eine kulturelle, die eine externe Legitimation noch brauchte.

Mein Vorschlag wäre daher auch ein anderer. Wie gesehen, war eine zentrale Idee der Montage-Euphorie, dass man als Monteur die Welt im Kleinen und Kulturellen genauso baut und eben montiert, konstruiert wie parallel im Großen die Sowjetunion gebaut wurde. Montage befand sich durch die Benutzung eines technischen neuen Tools, da ja weniger ein neues Tool als ein grundsätzlich anderes Verhältnis zum Material war, in einer anderen Distanz, nämlich in einem prinzipiell konstruktiven und vielversprechenden Verhältnis zur ganzen Welt: so wie die Welt durch neue Technologie und neue soziale und politische Techniken neu gebaut wurde, baute die Montage die Kunst neu. Dazu kam, dass genau wie durch die neuen politischen Techniken im Sozialen so durch die Montage nun auch in der Kunst diejenigen beteiligt waren, die vorher nicht zur Gestaltung der Welt zugelassen worden waren: also all die Ungebildeten, Unausgebildeten, die aber die neue Technik beherrschen oder sich aneignen können. Diese Gemeinsamkeit von klassischer Montage und Sampling spitzte die Kulturkritik auf die Tatsache zu, dass das, was früher das Gegenteil von legitimer Welthabe gewesen wäre – Aneignung, Diebstahl, Arbeit anderer – nun durch – je und je – Sampling und Montage von der Technologie und der mit ihr verbundenen Idee der Fortschrittlichkeit legitimiert werde. Denn die Technologie, so der Techno-Optimist, baut die Welt. Die Welt als Ganzes schien im Bau. Durch den Gebrauch der Montage konnten wir mitbauen, statt einfach nur gebaut oder umbaut zu werden.

Beim Sampling war eine solche Illusion hingegenbegrenzter, begrenzt auf Kämpfe um kulturelle Hegemonie im Sinne des italienischen Theoretikers Antonio Gramsci. Keiner der kulturellen Akteure wähnte sich ernsthaft in einem politischen Machtbezug zur Welt, nicht einmal symbolisch. Stattdessen war das damals gültige Paradigma noch das der Gegenkulturen, Subkulturen oder Gegenöffentlichkeiten – und das wäre auch tatsächlich das Gemeinsame der zwei – wie wir gesehen haben – total entgegengesetzten Konzeptualisierungen von Sampling: sie agierten aus einer subkulturellen und subkulturalistischen Position aus. Ihnen ging es weniger oder nicht nur um ein Verhältnis der Akteure zur Welt, sondern dies immer nur um den Preis oder in dem Grad, indem sie ein

Dieses Vorgehen steht aber einer bestimmten Variante des von Claude Lévi-Strauss mit »Bricolage« bezeichneten ziellosen Bastelns näher, als der ›souveränen‹ Distanz der Montage. Es geht nicht um ein für einen bestimmten Zweck geplantes Gebäude, sondern um eine fortgesetzte Aktivität, die jederzeit unterbrochen und wieder neu aufgenommen werden kann und darin dem Verhältnis eines andauernden, dramaturgisch unfestgelegten Tanzabends zu einem Konzert oder einfach dem Verhältnis von Track zu Song entspricht. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren entscheidenden Unterschied: Man ist per definitionem mit dem Material enger verbunden, es hat eine totemhafte Bedeutung für die imaginäre oder reale Gemeinschaft, für die man spricht. Es sind keine Belege äußerer Referenten, sondern interne Dokumente. In dieser Hinsicht ist Sampling – wenn man jetzt nicht nur die Praxis, sondern auch den Nimbus des Begriffs betrachtet – in mancher Hinsicht auch rezeptiven Praktiken immer noch sehr nahe, was bei seinem Ursprung im Plattenauflegen auch gar nicht so verwundert. Die Grenze zwischen produzierendem Samplen und Montieren und dem Zappen oder anderen sogenannten interpassiven Praktiken daheim vor dem Fernseher ist oft nicht so groß. Sozial steht Sampling oft, aber nicht immer, für das zwar erweiterte, aber nicht wirklich öffentlich zugänglich gewordene mediale Lagerfeuer, das McLuhan im Fernsehgerät gefunden hat.

Bild: Morphing

Zum Schluss möchte ich einen dritten Begriff kurzerwähnen, der mir heute genau dieses Verhältnis aus real veränderter kultureller Produktion, dazu eingesetzter neuer Technologie und einer dazu gehörigen Ideenwelt, Euphorie und Ideologie bezeichnet. Es handelt sich dabei um den Begriff des Morphing. Morphing ist ein das technisch avancierte Kino, den Musikclip und den Werbespot in gleicher Weise prägendes Konglomerat aus neuer Technologie und neuer Ästhetik mit einem unterschiedlich interpretierbaren ideologischen Gehalt. Wie die Montage ist Morphing eher universal und hegemonial und damit an einem anderen Machtpol angesiedelt als das subkulturelle Sampling.

Auf der anderen Seite ist Morphing viel stärker an ganz bestimmte Inhalte gebunden als es Montage und Sampling, zumindest auf den ersten Blick sind. Von Michael Jacksons Ethno-Morphing (»Black or white« von 1991) über den Dalmatiner in der Werbung, der sich für ein Duplo in eine nominell tolle Frau verwandelt, bis zu den Morphing-Monstern aus den Terminator-Filmen dieser Welt: es geht um Effekte, die eine Redewendung, eine ideologische Figur, ein Vorurteil, eine populäre Pointe immer schon wussten. Der Charakter gemorphter Sequenzen ähnelt immer mehr einem Effekt als einer Konstruktion, das heißt, es geht um das überraschend herbeigeführte immer schon Gewusste. Nicht um das nachvollziehbar hergeleitete ganz Neue.

Diese immer schon gewussten Bilder gibt es aber auch in der Frühzeit der Montage, zumindest der Fotomontage. Parallel zu dem Versuch, durch konstruktive Kombination etwas Neues oder bekannt Unbekanntes der Verhältnisse in der Montage dialektisch hervorzubringen, den die sowjetischen Montage-Künstler für sich beanspruchten, gab es die US-amerikanischen Werber, die mit ganz flachen Witzchen arbeiteten, indem sie etwa ein Brett vor einen Kopf montierten und sich so der schon fertigen Redensart bedienten und sie zum Wiedererkennen anboten. Oder es gab die Liliputaner, die in der Rasierapparatwerbung das Kinn eines Mannes bevölkern und nach Wunden oder übersehenen Haaren absuchten. Morphing wird heutzutage meistens als genau so ein schon fertige Redensarten bebildernder Effekt genutzt.

Zum anderen ist aber Morphing auch genau so ein billiger Showeffekt wie man ihn aus prä-kinematographischen Zeiten kennt und wie er, gerade in der Lesart Eisensteins, einen wichtigen Bestandteil der großen diskontinuierlichen Ästhetik von Montage-Künsten eine Rolle spielen muss. Sergej Eisenstein hat als Assistent von Meyerhold ja bekanntlich seine Begeisterung für Rummelplatz- und Zirkus-Effekte im Theater entwickelt und anhand dieser gezielten Unterbrechungen und Ebenenwechsel seine modernistische Montage-Theorie entwickelt. Morphing gehört nun auf genau einen solchen digitalen Rummelplatz, dessen Wachgeküsst-Werden für ein künstlerisches, selbstreflexives Durcheinander noch aussteht. Es bleibt allerdings fraglich, ob das Eintreffen einer solchen zweiten Phase des Morphing nur noch abhängt vom richtigen Künstler, der sich des Themas annimmt. Oder ob es nicht eher darauf ankäme, dass irgendwo wieder irgendjemand eine Sowjetunion aufbauen will. Was ja zur Zeit nicht wirklich ansteht.

© Medien Kunst Netz 2004