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Dieter Daniels
»Kunst und Fernsehen – Gegner oder Partner?«

Ist Fernsehen eine Kunst?

Pünktlich zum ersten Weihnachtstag 1952 beginnt in der BRD das Fernsehen. Nach einem Jahr gibt es ca. 10.000 Zuschauer, die das einzige Programm in den Abendstunden empfangen können. Dies ist der Entwicklung in den übrigen europäischen Ländern vergleichbar, wo zu dieser Zeit das Fernsehen als öffentliche Institution eingeführt wird. Im kommerziellen Fernsehen der USA entwickelt sich die enorme Breitenwirkung des Mediums schneller, und um 1960 stehen bei einen Konsum von ca. 5 Stunden je Familie täglich bis zu 10 Programme in Farbe den ganzen Tag zur Verfügung. In Deutschland führt erst 1963 ein zweites Programm zur Qual der Wahl. Ab 1964 wird bei 10 Millionen TV-Geräten mit statistisch je 2,5 Zuschauern fast die gesamte Bevölkerung der BRD vom Fernsehen erreicht.
In einem Jahrzehnt ist das Fernsehen in der BRD somit zum Massenmedium mit der größten Verbreitung geworden. Dennoch ist es »der deutschen Kulturkritik liebster Prügelknabe«, wie ein Chefredakteur klagt. (1) Die weit verbreitete, tiefe Skepsis der meisten Intellektuellen gegen den aus der Massenverbreitung folgenden Zwang zur Trivialität und vor allem gegen die Kraft zu manipulieren, faßt Theodor Adorno bereits 1953 so zusammen: »Das Medium selbst jedoch fällt ins umfassende Schema der Kulturindustrie und treibt deren Tendenz, das Bewußtsein des Publikums von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindung von Film und Radio weiter. Dem Ziel, die gesamte sinnliche Welt in einem alle Organe erreichenden Abbild noch einmal zu haben, dem traumlosen Traum, nähert man sich durchs Fernsehen und vermag zugleich ins Duplikat der Welt unauffällig einzuschmuggeln, was immer man für der realen zuträglich hält.« (2) Diese weit über das Jahr 1953 hinausweisende Haltung beruht auf Studien Adornos zum kommerziellen TV in den USA. Diese Erfahrung fehlt den meisten Autoren, die auf eine kulturelle Rolle des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens hoffen und die bereits im Titel ihrer Veröffentlichungen immer wieder den Begriff »Kunst« ins Feld führen, als sei er die universelle Waffe gegen die Medienskepsis. (3) Voll zweckoptimistischer Zuversicht heißt es 1953 hier: »Das Fernsehen ist schon heute eine Kunst. Es wird mit Gewißheit die Kunst von morgen sein.« (4)

Die Künstler und das Fernsehen

Zur Zeit der Einführung des Fernsehens hätte vielleicht noch eine Offenheit für Vorschläge von Seiten der Künstler bestanden. So erhält aus diesem Anlaß in Italien 1952 die Gruppe der »Spazialisten« um Lucio Fontana die Chance zu einem einmaligen Fernsehauftritt, für den sie ein emphatisches Manifest verfassen, in dem sie das Fernsehen als »ein von uns lange erwartetes künstlerisches Mittel« begrüßen. (5) Ein Jahrzehnt später befinden sich Nam June Paik und Wolf Vostell, die 1963 in der BRD beginnen, mit dem Fernsehen zu arbeiten, allerdings in einer wesentlich anderen Situation: Anstatt Sendungen zu gestalten, sind sie Teil der übrigen 10 Millionen TV-Empfänger und können nur modellhaft an preiswert erworbenen, gebrauchten TV-Apparaten einen neuen Umgang mit dem elektronischen Bild entwerfen. An dem Verbreitungspotential des Mediums haben sie keinerlei Anteil, statt dessen arbeiten sie gerade gegen dessen universelle Verbreitung der immergleichen Bilder. Auch für die künstlerische Arbeit mit dem Fernsehen ist der bereits skizzierte internationale Parallelismus kennzeichnend. (6) Um 1962/63 beginnen unabhängig voneinander weitere Künstler, Fernsehgeräte in ihren Kunstwerken einzusetzen, so Günther Uecker, der ein Gerät übernagelt, Tom Wesselman mit einem in das Bild montierten Gerät, César mit einem seiner Hülle entkleideten Apparat und Isidore Isou, der vor die Mattscheibe eine Schablone montiert. (7) Alle können dabei nur auf das Fernsehen als Faktum zurückgreifen, das unveränderte TV-Programm wird zum Element einer Montage oder eines Objekts.
Dagegen haben Paik und zum Teil auch Vostell den Anspruch, die bloß rezeptive Haltung gegenüber dem Fernsehen zu überwinden. Bei aller Bescheidenheit der Umsetzungsmöglichkeiten wird mit ihren modifizierten TV-Geräten gegen die Uniformität des Programms der Anspruch einer autonomen Gestaltung des elektronischen Bildes für jedermann angemeldet. Die Umkehrung des Grundprinzips des »Broadcast«-Mediums steht damit in der Nachfolge Brechts, der schon in den 30er Jahren forderte, das Radio aus einem »Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln«. (8) Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis dieser Zugriff auf das elektronische Bild von jedermann für jedermann im Zeitalter von Multimedia und Internet zu einem Teil des Alltags geworden ist. Das Fernsehen bildet bis in die 80er Jahre als »großer Bruder« das unausweichliche Gegenüber für die Entwicklung der künstlerischen Arbeit mit dem elektronischen Bild. Die jeweiligen Haltungen gegenüber dem Fernsehen lassen sich mit den Stichworten Aggression, Transformation, Kooperation und Konfrontation kennzeichnen, die im folgenden als Leitmotive dienen sollen.

Aggression

Vor allem die deutschen Künstler setzen die von der Kulturkritik geübte Attacke gegen das Medium in die Praxis um. Vostells Prinzip der »TV Dé-coll/age« zielt zunächst auf die aus seinen Plakatabrissen und Verwischungen abgeleitete Störung und schließlich die Zerstörung des TV-Bildes. Dies reicht bis zu fast religiösen Ritualen, wenn ein Fernseher mit Fleischstücken drapiert und mit Stacheldraht umkränzt zu Grabe getragen wird oder erinnert an politische Gewaltakte, wenn ein laufendes Gerät in einem Steinbruch mit dem Gewehr beschossen wird. (9) Ebenso wird der von Günther Uecker übernagelte und verweißte Fernsehapparat zum Symbol, zumal zum Statussymbol, da das teure Stück vor laufenden Fernsehkameras von Uecker in einem Geschäft nagelneu erworben wird, um dann dieser Behandlung unterzogen zu werden. (10) Vostells »Dé-coll/age« ist dabei so wie Ueckers »Übernagelung« ein direkt aus dem jeweiligen malerischen Werk übernommenes Verfahren, das nicht auf die spezifische Ästhetik und Technik des elektronischen Bildes eingeht. Auch Joseph Beuys' Aktion »Filz-TV« von 1966 macht das Aggressionspotential des Mediums zum Thema. Indem Beuys sich jedoch vor der bei laufendem Programm mit Filz abgedeckten Mattscheibe eines Fernsehers mit Boxhandschuhen selbst ins Gesicht boxt, kehrt er die Richtung um: Statt des symbolischen Angriffs auf das Medium steht die Wirkung auf den Zuschauer im Vordergrund. Die Aggression des Mediums wird durch einen Akt der Autoaggression überblendet und damit ebenso wie durch die Filzscheibe laut Beuys »weggefiltert«. Doch symbolische Attacken gegen das Fernsehen als die »verdammte Kiste« behandeln nur das Symptom statt der Ursache: Sie bestrafen den Boten, der die schlechte Nachricht bringt, da sie diese doch nicht ändern können.

Transformation

Die elektronische Musik hat das Feld dafür vorbereitet, auch im elektronischen Bild nicht nur das Monopol des größten Massenmediums zu sehen, sondern ein potentielles Mittel für neue künstlerische Ansätze. Deshalb führt Paiks Weg von der Musik zum Fernsehbild auch zum umfassenden Entwurf einer neuen Funktion des Mediums als »Participation TV«. So wie bereits John Cage in seinen Kompositionen Radiogeräte einsetzt, liefert das Fernsehen für Paik nur das Rohmaterial einer Transformation, die jedoch weiter als bei Cage geht, da sie auch die Geräte selbst nicht unverändert läßt. Als erster Künstler greift Paik gezielt in die Elektronik der Apparate ein, indem er bei seiner Ausstellung 1963 auf allen 12 Geräten verschiedene Weisen der Modifikation des TV-Bildes vorführt. (11) Zwar bleibt diese modellhafte Veränderung noch auf die bloße Empfangssituation beschränkt, doch steht dahinter der Anspruch auf eine völlige Umfunktionierung des Sender-Empfänger-Prinzips. Der künstlerische Entwurf eilt hier also der technischen Entwicklung voraus, und als 1965 die ersten Videogeräte auf den Markt kommen, gehört Paik zu den frühesten Käufern und verkündet, daß »ein neues Jahrzehnt des elektronischen Fernsehens dem vergangenen Jahrzehnt der elektronischen Musik folgen wird.« (12)
Paik arbeitet in New York seit Ende der 60er Jahre kontinuierlich mit dem Fernsehen zusammen. Fast alle seine Videotapes der 70er Jahre werden zusammen mit dem Fernsehen produziert und auch gesendet. Er erweitert seine Idee des »Participation TV« auf ein globales Niveau und entwirft neue Modelle für eine kulturelle und politische Funktion des Fernsehens durch einen weltweiten Austausch von Programmen als Grundlage internationaler Verständigung: »Dies würde die TV-Kultur vom hierarchischen Monismus befreien und den freien Fluß von Videoinformationen durch ein kostengünstiges Tauschsystem oder einen zweckmäßigen freien Markt fördern.« (13) Sein Videotape »Global Groove« von 1973 ist die praktische Umsetzung dieser Entwürfe. Dieser Ansatz führt weiter bis zu Paiks weltumspannenden Satellitensendungen: 1984 präsentiert er auf dem Umschlag der Begleitpublikation zu »Good Morning Mr. Orwell« die letzte Hochrechnung, daß 33 Millionen Zuschauer die Sendung gesehen haben. Er gehört zu den wenigen Medienkünstlern, denen der Spagat zwischen dem elitären Kunstkontext und dem Anspruch auf das Massenmedium gelingt.

Kooperation

In der BRD finden zwar um 1963 die international wichtigen Anfänge künstlerischer Arbeit mit dem Fernsehen statt, es folgen hieraus jedoch zunächst kaum weitere Entwicklungen. Bis Ende der 60er Jahre werden in der BRD auch mangels Verfügbarkeit von Technik keine eigenständigen Arbeiten von Künstlern mit Video oder TV produziert. Das deutsche Fernsehen verfolgt die Entwicklungen im Umfeld der intermedialen Kunst jedoch relativ aufmerksam. So wird über die Fluxus-Festspiele in Wiesbaden 1962 ein süffisant bis ironischer Bericht gesendet. 1964 kommt es zu einer direkten Zusammenarbeit, als im Rahmen des Magazins »Die Drehscheibe« für den Beitrag »Fluxusgruppe« Joseph Beuys, Bazon Brock und Wolf Vostell zu einer Live-Sendung eingeladen werden. (14) Die drei Künstler führen im Fernsehstudio simultan Aktionen aus: Brock verliest einen Aktions-Text, Vostell macht ein Dé-coll/age-Happening, bei dem auch ein Fernsehgerät zum Einsatz kommt, und Beuys führt die Aktion »Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet« durch. Auch wenn die Regie ganz in den Händen des Fernsehteams liegt, ist ein erster Schritt zur Übertragung der neuen Kunstformen ins Fernsehen getan.
Das wichtigste Modell für eine Kooperation von Künstlern und Fernsehen kommt jedoch aus der Literatur. Samuel Beckett realisiert 1966 beim Südfunk sein erstes Fernsehspiel »He, Joe«, dem zwei weitere folgen. (15) Er ist sowohl Autor als auch Regisseur. Die auf ein Minimum reduzierten formalen Mittel seiner Fernsehspiele sind zwar durchaus den ebenso minimalistischen frühen Videoperformances der 60er Jahre vergleichbar, doch Becketts Weg zum Fernsehen hat keine Verbindung zur zeitgenössischen Intermediakunst, sondern fußt auf einem wesentlich älteren Genre, dem Hörspiel. (16)
Erst um 1968/69 findet in der BRD die Anfang der 60er Jahre begonnene Arbeit von Künstlern mit dem Fernsehen eine Fortsetzung, nun jedoch in Form einer direkten Zusammenarbeit, für die, entsprechend der jeweiligen künstlerischen Ansätze, zwei ganz entgegengesetzte Modelle entstehen: der multimediale Aktionismus von Otto Piene und Aldo Tambellini einerseits und der konzeptuelle Purismus von Gerry Schum andererseits. »Black Gate Cologne« von Piene und Tambellini, 1968 vom WDR Köln produziert und gesendet, wird oft als das erste Fernseh-Kunststück bezeichnet. (17) Die Sendung beruht auf einer zuvor schon in New York aufgeführten multimedialen Live-Aktion mit Publikumsbeteiligung. Das Stück wird jedoch nicht live ausgestrahlt, sondern im neuen elektronischen Studio E des WDR aufgezeichnet. Dabei kommen die Möglichkeiten zur Überlagerung und Mischung der Bilder von fünf Fernsehkameras zum Einsatz. Die Bildästhetik der aus zwei Aufzeichnungen zusammenmontierten und in mehreren Arbeitsschritten immer mehr verdichteten Sendung beruht somit auf einer Verbindung von künstlerischer Inszenierung und fernsehspezifischer Umsetzung im engen Teamwork von Künstlern und Fernsehregie. Noch einen wesentlichen Schritt weiter geht Nam June Paik, wenn er in den USA auch die technischen Möglichkeiten des Fernsehens mit seinem selbst entwickelten Videosynthesizer erweitert. Dieser kommt 1970 in der vierstündigen Live-Sendung »Video Commune« zum Einsatz, bei der Paik auch die Grenzen zwischen TV-Team, Künstler und Publikum aufhebt, indem zum Teil von der Straße in die Sendung geholtes Publikum auch an den Knöpfen des Synthesizers die Bildästhetik live mitgestaltet.
Gerry Schums zwei Sendungen »Land Art« von 1969 und »Identifications« von 1970 bilden das genaue Gegenmodell zur audiovisuellen Überdosis von »Black Gate Cologne«. Seine Idee einer »Fernsehgalerie« geht von der aktuellen künstlerischen Entwicklung aus, die sich mit Harald Szeemanns programmatischem Titel »When attitudes become form« (18) zusammenfassen läßt. Schum sieht das Fernsehen als einen neuen Weg der Vermittlung für diese künstlerischen Prozesse und Konzepte jenseits des Objekts. Er geht also nicht von den kulturellen Defiziten des Massenmediums aus, sondern alleine von der kunstimmanenten Fragestellung seiner Zeit. Die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen beschränkt sich deshalb auf die Ausstrahlung und Finanzierung sowie die Inszenierung eines an eine Galerieeröffnung angelehnten Rahmens im Fernsehstudio vor Beginn der Sendung. Die Sendungen selbst werden von Schum jedoch völlig selbstständig produziert, und die einzelnen Beiträge haben für ihn und die eng mit ihm zusammenarbeitenden Künstler unbedingt den Status eines autonomen Kunstwerks. Hierauf beruht auch Schums Weigerung, auf die nach der ersten Sendung laut werdenden Wünsche nach mehr Vermittlung oder Kommentar einzugehen. Vielmehr besteht er auf der ästhetischen Autonomie: »Während der gesamten 38 Minuten der Sendung 'Land Art' wird kein einziges Wort gesprochen. Keine Erklärung. Ich denke, daß ein Kunstobjekt, im Bezug auf das Medium Fernsehen entstanden, keiner gesprochenen Erklärung bedarf.« (19) Die meisten von Schum ausgewählten Künstler haben zuvor kaum mit Fernsehen oder Video gearbeitet, und in ihren Beiträgen steht nicht das Medium im Vordergrund, sondern die konsequente Übertragung ihres Ansatzes. So wird auch keinerlei elektronische Bildbearbeitung eingesetzt.
»Im Fernsehobjekt kann der Künstler sein Objekt reduzieren auf die Attitüde, auf die bloße Geste als Hinweis auf seine Konzeption. Das Kunstobjekt stellt sich dar als eine Einheit von Idee, Visualisierung und dem Künstler als Demonstranten«, sagt Schum in seiner Einleitung zu »Identifications«. In ähnlicher Weise verbindet er selbst widersprüchliche Rollen in einer Person. Er ist zugleich Vermittler zwischen Fernsehen und Künstlern, Kurator des Programms und Produzent der Beiträge. Dabei führt seine konsequent an der Kunst orientierte Haltung unausweichlich zu wachsenden Differenzen mit den auf breite Akzeptanz zielenden Bedingungen des Fernsehens. Seine Hoffnung, aus der »Fernsehgalerie« eine dauerhafte Einrichtung zu machen, werden nicht wahr, so daß er sich schließlich in den Kunstkontext zurückzieht, um hier mit einer »Videogalerie« auch Videos als signierte und limitierte Auflageobjekte zu vertreiben. Er opfert damit seine ursprüngliche Vision eines nur im Fernsehen existierenden Kunstwerks, bleibt jedoch auf dem am Original orientierten Kunstmarkt ebenso erfolglos.
Die grundlegende Unvereinbarkeit der Vermittlungs- und Bewertungsstrukturen von Fernsehen und Kunst wird selten so deutlich wie in Schums Fall. Mit dem Scheitern der »Fernsehgalerie« und seinem frühen Tod tritt zumindest in der BRD erneut eine längere Pause in der Verbindung von Kunst und Fernsehen ein. Die zwei verschiedenen Modelle der Kooperation von Künstlern und Fernsehen, für die »Black Gate Cologne« einerseits bzw. »Land Art« und »Identifications« andererseits stehen, markieren jedoch deutlich den Übergang vom alles mit allem verbindenden intermedialen Elan der 60er Jahre zu den präzisen, konzeptuellen Entwürfen der 70er Jahre.


Konfrontation

Wenn Jochen Gerz sagt: »Die 70er Jahre haben noch nicht stattgefunden«, (20) so bringt er damit die Last der uneingelösten Utopien zum Ausdruck, die während der 70er Jahre nicht nur die Kunst, sondern auch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bestimmen. Wie schon Schums Scheitern ankündigt, stehen die Zeichen auch im Verhältnis von Kunst und Massenmedien auf Konfrontation. Die Kritik am Medium kann dabei durchaus auch im Fernsehen selbst ihren Platz finden, wie die künstlerischen Eingriffe zeigen, die Anfang der 70er Jahre Peter Weibel, Valie Export und später auch Richard Kriesche mit dem ORF realisieren. Wenn Weibel 1970/72 in zwei als »TV-Tod« bezeichneten kurzen Stücken die Fernseh-Realität scheinbar durchbricht und den TV-Kasten zum leerlaufenden Aquarium mit sterbenden Fischen oder zur Glasglocke eines am eigenen Rauch erstickenden Nachrichtensprechers umdeklariert, so lösen diese drastischen Beiträge eine Irritation und Reaktion beim Publikum aus, die jedoch nicht kunstspezifisch, sondern zweifellos allgemein auf das Medium gerichtet ist. Die konsequenteste Umsetzung findet dieser Anstoß des TV-Zuschauers zur Selbstreflexion seines Verhaltens in Valie Exports TV-Aktion »Facing a Family« von 1971: Das Bild einer fernsehschauenden Familie wird unkommentiert gesendet und trifft somit wie ein Spiegelbild auf eine genau gleiche Situation in zahllosen Haushalten.
Diese Interventionen von Weibel und Export sind konsequent medienspezifische Konzepte und führen nicht zu autonomen Werken, die auch außerhalb des Fernsehens sinnvoll bleiben. Zugleich sind sie jedoch gegen das Fernsehen gerichtet und haben den aus der Performancekunst abgeleiteten Charakter von symbolischen Aktionen. Dies verbindet sie mit der im Laufe der 70er Jahre in der BRD entstehenden Videokunst, die sich größtenteils als eine autonome Arbeit mit Video in klarer Abgrenzung vom Massenmedium Fernsehen versteht. Dieses Selbstverständnis kommt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, wenn bei der »documenta 6« von 1977 über dem Eingang zur Videothek das Zeichen »VT ≠ TV« (Videotape ist nicht gleich TV) prangt. Daß anläßlich dieser sogenannten »Mediendocumenta« dennoch eine Live-Satelliten-Sendung zur Eröffnung und ein umfangreiches Programm mit Kunstvideos im Fernsehen gezeigt werden, ist diesmal weniger die Initiative der Künstler als der Ausstellungsmacher, die ihrem Konzept so zugleich eine mediale Präsenz verschaffen. Aber die von Wulf Herzogenrath, dem Kurator der Videoabteilung, geäußerte Hoffnung, »Video könnte das Intendanten-Fernsehen ablösen«, sollte anders in Erfüllung gehen als gedacht. (21)
Kabel- und Satelliten-Fernsehen, die Pläne zur Zulassung von Privat-TV und die beginnende Verbreitung der Heimvideotechnik stellen in den 80er Jahren das Monopol der öffentlichen Sendeanstalten in Frage. Parallel hierzu steigt der allgemein verfügbare technische Standard, so daß Künstler in Videostudios sendefähige Beiträge ohne Unterstützung des Fernsehens realisieren können. Fernsehen wird dabei für viele Künstler zum Rohmaterial, das einer kritischen Analyse durch De- und Re-Montage unterzogen wird. (22) Aber die zu Beginn der 80er Jahre erwachende Hoffnung, daß nun auch die Kunst in der neuen Programmvielfalt ihren sicheren Platz finden werde, ist aus heutiger Sicht genauso illusionär, wie die Idee zu einer »Kunst des Fernsehens« am Beginn der TV-Ära.


(1) Hans Heigert in: Josef Zöllner (Hrsg.), »Massenmedien die geheimen Führer«, Augsburg, 1965, S. 179.
(2) Theodor W. Adorno, »Prolog zum Fernsehen« in: Rundfunk und Fernsehen, Heft 2, 1953, zit. nach: ders. »Gesammelte Schriften«, Bd. 10/2, Frankfurt a. M., 1996, S. 507.
(3) Herbert Kutschbach, »Das Fernsehbild zwischen Technik und Kunst«, in: Rufer und Hörer, Jg. 7, Heft 8, 1953; Franz Tschirn, »Kunst im Bildschirm«, in: Rufer und Hörer, Jg. 6, 1951/52, S. 574–576.
(4) Gerhard Eckert, »Die Kunst des Fernsehens«, Hamburg, 1953, S. 102; die vorwiegend ästhetischen Debatten und Kriterien scheinen dabei, die politisch vorbelastete Vergangenheit des Mediums in Deutschland weitgehend auszublenden. Schon 1935 beginnt in Deutschland der erste regelmäßige Fernseh-Programmdienst der Welt. Die Nationalsozialisten wollen nach dem großen Erfolg der Radiopropaganda durch den preiswerten »Volksempfänger« auch das Fernsehen für ihre Zwecke einsetzen, was durch den Krieg unterbrochen wird.
(5) »Manifesto del movimento spaziale per la televisione« in: Enrico Crispolti, »Fontana, Catalogo generale«, Bd. 1, Mailand, 1986, S. 37.
(6) Siehe Text »Über Anfänge« in diesem Band.
(7) Günther Uecker »TV«, 1963, Tom Wesselmann »Great American Nude # 39«, 1962, Isidore Isou »La télévision dechiquetée ou l´anticrétinisation«, 1962, César »Télévision«, 1962.
(8) Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Schriften 2, Frankfurt a. M., 1967, S. 129.
(9) Die TV-Beerdigung »TV-Burial« als Aktion auf dem YAM-Festival in New Brunswick, 19. Mai 1963 und die TV-Erschießung im Rahmen von Vostells »9 nein Décollagen«, Wuppertal 14. Sept. 1963.
(10) Zur Ausstellung »Sintflut der Nägel« in der Galerie »d« Frankfurt 1963, bei der Uecker das Mobilar eines ganzen Wohnzimmers übernagelt, sendet der Hessische Rundfunk einen Beitrag, für den Uecker besagte Aktion mit dem TV-Gerät ausführt. Laut Uecker entstanden zu dieser Zeit drei überarbeitete Fernseher sowie ein Klavier nach diesem Prinzip der Übernagelung, zum Teil zusätzlich mit Überweißungen. (Mündliche Information des Künstlers vom 20.8.1996)
(11) Siehe Text »NACHSPIEL zur Ausstellung des EXPERIMENTELLEN FERNSEHENS« in diesem Kapitel.
(12) Siehe Texte Nam June Paik, »Electronic Video Recorder« im Kapitel »Video«.
(13) Nam June Paik »Global Groove und der gemeinsame Videomarkt« (zuerst 1970), in: ders., »Niederschriften eines Kulturnomaden«, Edith Decker (Hrsg.), Köln, 1992, S. 132.
(14) Sendung des ZDF aus dem Düsseldorfer Studio am 11.12.1964. Leider wird die Live-Sendung, wie damals üblich, nicht aufgezeichnet und ist nur durch Fotos dokumentiert; siehe: Uwe M. Schneede, »Joseph Beuys, Die Aktionen«, Stuttgart, 1996, S. 80 ff und siehe »Übrigens sterben immer die anderen, Marcel Duchamp und die Avantgarde seit 1950« Museum Ludwig, Köln, 1988, S. 216.
(15) »Nur noch Gewölk«, SR Stuttgart, 1977, und »Quadrat 1+2«, SR Stuttgart, 1981.
(16) Das Radio-Hörspiel hat seit Ende der 20er Jahre gerade in Deutschland eine große Tradition. Dies läßt sich daran ablesen, daß der Begriff »Hörspiel« zu den wenigen deutschen Fremdwörtern im Englischen gehört.
(17) Siehe Text von Wibke von Bonin in diesem Kapitel.
(18) Ausstellung in der Kunsthalle Bern 1969.
(19) Schum in einem Brief an Gene Youngblood in: »Land Art«, Gerry Schum/Ursula Schum-Wevers (Hrsg.), Hannover, 1969.
(20) Jochen Gerz in einer Diskussion, Tate Gallery, London, 1995.
(21) Interview mit Wulf Herzogenrath, in: Kunstforum, Bd. 21, 1977, S. 170.
(22) Dies zeigt exemplarisch Klaus vom Bruchs Entwicklung von den frühen, fast noch dokumentarischen Mitschnitten der TV-Berichte über den Terrorismus („Das Schleyerband«, 1977/78) zu den späteren Schnittmontagen von steigender Komplexität.


Quelle: Rudolf Frieling, Dieter Daniels, Medien Kunst Aktion – Die 60er und 70er Jahre in Deutschland, S. 60–67.