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Barbara Becker
»Cyborgs, Robots und Transhumanisten:: Anmerkungen Über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität«
1. Einleitende Bemerkungen
»Nach der industriellen und der digitalen Revolution....wird nun die biologische Revolution ausgerufen» – so der Einführungssatz zur diesjährigen Ars Electronica, die sich unter dem bezeichnenden Titel »LifeScience« aus künstlerischer und wissenschaftlicher Perspektive der Frage nach neuen technologischen Innovationen und ihren kulturellen Implikationen widmet. »LifeScience«, eine Zusammenfassung von Gen, -Bio- und Informationstechnologie, wird immer häufiger als DIE Schlüsseltechnologie der Zukunft betrachtet. Das Leben selbst, insbesondere seine organischen Grundlagen, stehen nun im Zentrum von Forschungsbemühungen, die sich unter anderem darauf konzentrieren, Lebendiges jenseits des organischen Substrats zu konstruieren, und die zudem Anstrengungen unternehmen, Bedingungen für eine künstliche Entfaltung des Lebendigen zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund scheint es wenig verwunderlich, dass sich Prognosen häufen, denen zufolge sich Natur als wissenschaftlich-technische Konstruktion beschreiben lässt. Alte Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine, Organismus und Artefakt scheinen im Zeitalter von Gen-, Bio- und Informationstechnologie ihre Aussagekraft verloren zu haben. In diesem Zusammenhang werden neue Körper- und Identitätskonzepte diskutiert, die traditionelle Dichotomien von Natürlichem und Künstlichem, Gewachsenem und Produziertem als obsolet erscheinen lassen. Ob von Cyborgs und Maschinenmenschen die Rede ist, oder aber ob multiple Identitäten im Cyberspace als befreiende und befreite Formen der Selbstschöpfung gefeiert werden; ob in Gestalt so genannter Transhumanisten und Extropianer, oder aber im Kontext der sicherlich ernst zu nehmenden Artificial Life- und Artificial Biology-Forschung: die Auflösung der Grenze zwischen natürlichen und künstlichen Phänomenen entspricht dem Zeitgeist und wird verknüpft mit apokalyptischen Befürchtungen und Befreiungsströmen unterschiedlichster Art. Zunehmend sehen wir uns demnach mit der Frage konfrontiert, ob und in welchem Umfang Menschen sich die »faszinierenden Mechanismen der Roboter aneignen und dabei selbst zu Robotern werden« (Moravec 1998, S. 322), ob sie als Cyborgs und virtuelle Körper herkömmliche Dichotomien durch fluide Identitätskonzepte kreativ Überschreiten lernen (Turkle 1995, Plant 1997) oder aber ob sie als fragile Wesen gegenüber effizienteren Maschinen immer mehr an Bedeutung verlieren.
. Der folgende Beitrag ist zu verstehen als Versuch, derartigen Phänomenen nachzuspüren. Die Problemlage gestaltet sich dabei als außerordentlich vielschichtig: So kann man nicht über ›Natur an sich‹ bzw. über ›natürliche‹ Körper sprechen, ohne sich dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt zu sehen, in essentialistische oder gar fundamentalistische Positionen zurück zu verfallen. Auch würde man damit die längst gewonnene Einsicht ignorieren, der zufolge unsere Vorstellung von Natur immer schon gesellschaftlich vermittelt ist (Horkheimer/Adorno 1986) und die Differenz von Natur und Kultur eine systematisch erzeugte ist (Derrida 1990). So können hier lediglich einige Anmerkungen darüber präsentiert werden, in welcher Weise die Kategorien »Natur« und »Körper« in aktuellen (Technik-) Diskursen besetzt werden (vgl. hierzu auch Lischka 1996). Aufgrund der Tatsache, dass wir die als natürlich geltenden Prozesse stets durch den Filter medial vermittelter Kommunikation betrachten, sind wir mit epochen- und medienspezifischen Konstituierungsleistungen konfrontiert, die das ohnehin schon doppeldeutige Phänomen des Natürlichen in Abgrenzung vom Künstlichen immer nur auf der Folie von kommunikativ vermittelten Zuschreibungen in Erscheinung treten lassen. Von natürlichen Prozessen zu sprechen, impliziert somit stets eine Doppeldeutigkeit, da Natur immer schon als diskursiv konstruierte wie technisch gestaltete in Erscheinung tritt. Plädoyers, die eine Entgegensetzung natürlicher und künstlicher Phänomene als Ausgangspunkt haben, verkennen demnach häufig, dass diese Gegenüberstellung nicht auf eine ontologisch gegebene Differenz verweist. Das, was als natürlich gilt, ist also immer schon kommunikativ vermittelt. Und ebenso lässt sich das vermeintlich Künstliche nicht völlig von seiner Materialisierung abkoppeln. Die gegenwärtig als Novum dargestellte Vermischung natürlicher und künstlicher Phänomene ist also in gewisser Hinsicht seit jeher existent, ohne jedoch in einer vollständigen, Differenzen ausklammernden Synthese zu münden.
Insofern stellen die folgenden Überlegungen den Versuch dar, vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses einige der neuerdings mit revolutionärem Gestus präsentierten Identitäts- und Körpervisionen genauer anzuschauen und diese mit Konzepten aus der Phänomenologie zu konfrontieren, wo die Verwobenheit von natürlichen und kulturellen bzw. künstlichen Prozessen bereits seit längerem thematisiert wird. Im Einzelnen sollen dabei zunächst einige Beispiele aus dem breiten Spektrum gegenwärtig diskutierter Ideen dargestellt werden, wobei sowohl Befreiungsvisionen über neue Körper- und Identitätskonzepte im Cyberspace als auch Wünsche bezüglich der Modfizierbarkeit, Kontrollierbarkeit oder gar Abspaltung der eigenen Materialität zur Sprache kommen sollen. Derartige Transformationsvisionen sind allerdings nicht neu, sondern lassen sich auf bestimmte Traditionen innerhalb unserer Kultur zurück beziehen. Der folgende Beitrag zielt allerdings weniger darauf, entsprechende historische Bezüge herzustellen als vielmehr, ein Plädoyer für die Eigendynamik der eigenen und fremden Materialität zu liefern. Damit soll einerseits immateriellen Selbstentwürfen die Widerständigkeit der eigenen Physikalität entgegengehalten werden. Andererseits werden allzu euphorische neue Einheitsvisionen über die Auflösung der Dichotomie von Natürlichem und Künstlichem durch Verweis auf die Ambiguität des Leibkörpers in Frage gestellt, was zu einer Anerkennung von spannungsvoller Differenz führen könnte.
2. Cybervisionen
Wie bereits erwähnt, finden sich gegenwärtig an unterschiedlichster Stelle Hinweise auf eine Verschiebung oder Auflösung der Dichotomie zwischen natürlichen und künstlichen Prozessen. Die damit verknüpften Visionen über eine mögliche Neukonzeption von Körperlichkeit und Identität sind entsprechend vielschichtig. Dabei lassen sich idealtypisch verkürzt folgende Richtungen unterscheiden:
1. Virtualisierung, Immaterialisierung und Multiplizierung von Körper und Identität in elektronischen Kommunikationsnetzwerken und so genannten Cyberwelten, in denen Körper und Identität als beliebig formbare und multiplizierbare, textliche oder graphische Konstruktionen in Erscheinung treten.
2. Versuche, jenseits der ›natürlichen‹ Evolution aus organischen Substanzen biologische Geschöpfe herzustellen, etwa im Kontext von Genmanipulation und Bioengineering. Die technische Manipulation des Organischen findet sich auch in ästhetisch-kritisch motivierten Experimenten mit dem eigenen Körper, wie sie in unterschiedlichen künstlerischen Performances (vgl. auch Schneider in diesem Band) zu finden sind.
3. Die Konstruktion von intelligenten Artefakten (vor allem Roboter) durch Simulation lebendiger Prozesse auf der Basis nicht-organischer Substrate. Dabei stehen vor allem Versuche im Vordergrund, entsprechende Systeme zu autonomem Verhalten in komplexen Umwelten zu befähigen. Entsprechende Bemühungen finden sich im Kontext der so genannten Artificial Life- und Artificial Biology-Forschung.
4. Visionen im Kontext des so genannten Extropianismus oder Transhumanismus, die von einer kontrollierten Steuerung, technischen Umgestaltung oder gar Abspaltung des als defizitär erlebten Körpers träumen und ein gleichzeitiges ›Uploaden‹ des Geistes auf Maschinen anvisieren.
Im folgenden Beitrag sollen lediglich einige dieser Ansätze exemplarisch zur Sprache kommen um aufzuzeigen, welche Konzeption von Materialität diesen Forschungsbemühungen zugrunde liegt und welche möglichen Implikationen sich für unser Körper- und Identitätsverständnis daraus ableiten lassen.
2.1 Virtuelle Identitäten, virtuelle Körper
In der Literatur über den so genannten Cyberspace trifft man immer wieder auf die Vorstellung, dass man sich im elektronischen Netz in jeweils gewünschter Form in Szene setzen kann. Multiple Identitäten, schillernde Körper, Masken und Maskeraden: der Traum einer Um- und Neuformung des eigenen Selbstentwurfs bezieht sich gleichermaßen auf Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen wie auch auf die Konstruktion eines erwünschten Körpers. Zumeist erfolgen derartige Konstruktionen von Identitäten und Körpern via Text, doch breitet sich auch die zusätzliche graphische Repräsentation von virtuellen Körpern in Form von Avataren aus. An anderer Stelle habe ich ausgeführt, dass sich entsprechende Formen der virtuellen Selbsterschaffung einordnen lassen in eine Tradition von »Selbst-Technologien«, wie sie durch öffentliche Rede, Brief, Tagebuch, Roman, Fotografie und Film seit langem schon existieren. (vgl. Becker 1997) Dies soll im Weiteren nicht näher ausgeführt werden. An dieser Stelle wird dagegen überprüft, in welcher Form die körperliche Materialität im Cyberspace überhaupt noch relevant ist bzw. in welcher Weise es zu Neudeutungen und Umschreibungen von Materialität kommt.
Betrachtet man die Repräsentationen des Körpers in elektronischen Kommunikationsumgebungen, so ist offensichtlich, dass der Körper hier lediglich als symbolisches und diskursives Konstrukt oder als stereotypisierte graphische Repräsentation auftritt. Entsprechend ist der Eindruck von Körperlichkeit im Dialog mit anderen Netzteilnehmern ein vorrangig über Texte und Graphiken konstruiertes Gefühl, erschaffen durch Sprache und nicht getragen von konkreten physischen und sinnlichen Eindrücken (Stone 1995) . Der imaginierte Körper, seine Gebärden, seine Gestik und Mimik werden repräsentiert in einer eigenen, zumeist extrem standardisierten Zeichensprache, die jedoch wenig Bezüge erkennen lässt zum Zeichencharakter des realen Körpers bzw. der ihm eigenen Körpersprache. Eigentümlich ist bei diesen Köperkonstruktionen, dass die Abwesenheit des realen Körpers unthematisiert bleibt. Seine Ausblendung zugunsten erwünschter symbolisch-diskursiver Re-Konstruktionen verdeutlicht das in Befragungen immer wieder artikulierte Motiv, den als Ballast erlebten physischen Körper in den virtuellen Umgebungen abzuschütteln bzw. aus dem eigenen »Körpergefängnis« (Wetzstein 1995) auszubrechen. Damit aber ist der reale Körper in den Selbstinszenierungsprozessen im Cyberspace zur Ausdrucks- und Bedeutungslosigkeit verdammt. Als konkreter, physischer und bedeutungsstiftender Leib hat er in den virtuellen Inszenierungsprozessen offensichtlich kaum noch Relevanz.
Die Repräsentation des Körpers in formalisierten, stereotypisierten Zeichen, wo er zumeist als imaginiertes Wunschkonstrukt in Erscheinung tritt, spaltet ihn ab von der Widerständigkeit seiner biologischen Verfasstheit. Infolgedessen verlagert sich das Spannungsverhältnis zwischen Natürlichem und Konstruiertem zugunsten des Artifiziellen, Hergestellten. Ob dies nun als technologisch untermauerte Purifikation vom Schmutz des Materiellen (Kamper 1994) zu deuten ist, die einzubetten wäre in einen Jahrhunderte langen Versuch der Zähmung des »wilden, ungebändigten Seins« (Merleau-Ponty 1986) oder aber als kreatives Spiel mit Übergängen zwischen dem Realen und dem Repräsentierten (Angerer 1995) bleibt offen. Doch drängt sich der Eindruck auf, als solle in den virtuellen Selbstinszenierungen der Körper schon deshalb weitgehend ausgeblendet werden, weil er allzu kühne Träume möglicher Selbstinszenierungen bislang noch mit der Widerständigkeit seiner nur begrenzt verfügbaren Materialität konfrontierte .
2.2 Der Cyborg als Vision der Befreiuung
Mit der Möglichkeit, in virtuellen Räumen sich seiner widerständigen realen Körperlichkeit entledigen zu können, werden unterschiedliche Hoffnungen verknüpft. Ob die virtuelle Multiplizierung des Selbst als Möglichkeit der Erprobung verbotener Dimensionen von Identität gefeiert wird (Turkle 1995), ob von befreiender Vervielfältigung und Grenzüberschreitungen die Rede ist (Bruckmann 1994, Cherny 1994), um den sozialen, oftmals mit der eigenen Körperlichkeit assoziierten Beschränkungen zu entfliehen, oder ob vom Spiel mit Körpergrenzen und Körperbildern geträumt wird (Stone (1995) – es scheint vor allem eine Befreiung von sozialen und physikalischen Zwängen und Einschränkungen zu sein, die sich die Bewohner des Cyberspace erhoffen.
Eine Vertreterin derartiger Hoffnungsvisionen ist Donna Haraway (vgl. Haraway 1995). In ihrem »Manifest für den Cyborg« vertritt sie die Auffassung, dass sich die alten Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine auflösen, weil wir längst aufgrund von technologischen Einbettungen und Durchdringungen zu Maschinenmenschen, zu »Cyborgs«, geworden seien. Statt jedoch mit dieser Diagnose apokalyptische Untergangsvisionen zu verknüpfen, entwickelt sie aus einer feministischen Perspektive Hoffnungen, denen zufolge die konstatierte Auflösung der klassischen Dichotomie von Natürlichem und Künstlichem vielschichtige und vielfältige Neudeutungen und Neukonstruktionen von Mensch- bzw. Frausein ermögliche. Ihrer Auffassung nach seien Körper und Organismen nicht qua Natura in spezifischer Form unveränderlich existent, sondern sie würden in ihren jeweiligen Ausprägungen (z.B. in ihrer Geschlechtlichkeit) erst über bestimmte Diskurspraktiken zu solchen gemacht . Sie materialisieren sich in ihrer jeweils spezifischen Form in sozialer Interaktion, d.h. sie kristallisieren sich als je Spezifische am Schnittpunkt von Texten, Forschungen und kommerzialisierten Praktiken heraus.
Mit einer solchen Perspektive zeigt Haraway nicht nur eine Nähe zu diskurstheoretischen Konzeptionen des Körperlichen, sondern sie knüpft auch an aktuelle Diskurse aus den Naturwissenschaften, speziell der Biologie an, wo eine Neudeutung des Körpers gegenüber traditionellen Vorstellungen erfolgt, in denen der Körper als abgegrenzte, eindeutig bestimmbare Einheit betrachtet wurde. An die Stelle alter hierarchischer Konzepte treten nunmehr Begriffe wie Code, Vernetzung, Fragmentierung und Dispersion, in deren Gefolge der Körper als strategisches System, als Feld von Differenzen umgedeutet wird. Das Bild des hierarchisch organisierten Körpers wird also zunehmend ersetzt durch das Bild eines Netzwerk-Körpers, der durch die Selbstregulation partikularer Systeme gekennzeichnet ist.
Mit einer solchen Neudeutung des Körpers erweist sich dieser als zu gestaltende Größe, als Produkt von Entscheidungstätigkeit und nicht als quasi fixe, naturgegebene Entität. Ein partikulares Spiel mit Abgrenzungen gegenüber dem jeweils Anderen, eine ständige Fluktuation der Auflösung und Bildung, der Konstruktion und des Zerfalls der lediglich situativ noch bestimmbaren Körperidentität sei die Folge, so Haraway. Damit einher gehe auch die Tatsache, dass sich ehedem unterstellte, klare Trennungen zwischen Organismus und Umwelt nicht länger aufrechterhalten ließen, da spätestens seit Aufkommen der Immunbiologie davon ausgegangen werden müsse, dass es kein Innen und Außen mehr gebe, sondern eine ständige Interaktion mit der Umwelt ein wesentliches Charakteristikum organischer Körper sei. »Das ›Selbst‹ und das ›Andere‹ verlieren die Qualität eines rationalistischen Gegensatzes und werden zu einem subtilen Spiel von partiell gespiegelten Leseweisen und Antworten« (Haraway 1995, S. 183).
Die unterstellte Auflösung der Grenze zwischen einem Organismus/Körper und seiner Umwelt hat nicht nur Folgen für bislang diskutierte Identitätskonzepte, weil die traditionell als konstitutiv für das Selbst gedachte ständige Abgrenzung gegenüber einem Außen oder Anderen als obsolet erscheint. Sondern die Idee eines »semipermeablen Selbst« (vgl. Haraway 1995), die an die Stelle alter Identitätsvorstellungen gesetzt wird, impliziert auch eine Überschneidung von natürlichen und künstlichen bzw. technischen und organischen Prozessen. So vertritt Haraway die Auffassung, dass sich aus der unterstellten Permeabilität von Organismus und Umwelt eine Durchlässigkeit zwischen Textuellem, Technischem und Biotischem ergebe. Da sich Welt durch die neuen Informationstechnologien zunehmend als Codierungsproblem deuten ließe und unsere organische Beschaffenheit im Kontext von Gentechnologien immer mehr als Text gedeutet würde, existiere demnach auch unsere eigene Materialität letztlich vornehmlich als Effekt von Erzählungen und Zuschreibungen.
Viele Argumente Haraways erinnern an die Thesen Judith Butlers (1991, 1997), der zufolge die eigene Materialität Produkt sich wiederholender performativer Akte sei, man demnach nicht von natürlich gegebenen Voraussetzungen bei der Herausbildung einer (Geschlechts-) Identität reden könne. Doch betont Haraway, deutlicher als Butler, dass die eigene Materialität nicht alleine durch bestimmte Diskurspraktiken produziert sei, sondern eine Fülle sowie eine eigene Dichte und Massivität impliziere, die generative, bedeutungsstiftende Kraft habe. Körperliche Materialität ließe sich demnach nicht als träge und passiv, sondern als eigenständige gestaltende Kraft interpretieren, die jenseits aller diskursiven Formiertheit eigene Akzente setzt. Diese Betonung der Eigendynamik von Materialität, die zu spezifischen Formungen überhaupt erst führt, wird später noch aus einer phänomenologischen Perspektive zu untermauern sein. Sie ist jedoch ein Indiz dafür, dass sich materielle Körperlichkeit nicht vollständig auf diskurstheoretische Konstruktionen reduzieren lässt und nicht ausschließlich als Effekt von Narration zu deuten ist.
2.3 Biologische Maschinen
Auch an anderer Stelle wird die Auflösung der Dichotomie zwischen Natürlichem und Künstlichem als Befreiung von traditionellen Zwängen gefeiert. Der Herausgeber der als avangardistisch geltenden Internetzeitschrift »Wired«, Kevin Kelly, schwärmt in seinem Buch »out of control« über viele Kapitel hinweg von der sich ankündigenden Synthese technischer und biologischer Prozesse: »Machines are becoming biological and the biological is becoming engineered.« (vgl. Kelly 1995, S. 2). Seinen Vorstellungen zufolge werden die zu erwartenden neuen Maschinen Eigenschaften haben, die sie in die Nähe zu biologischen Systemen bringen: Sie werden adaptionsfähig sein, sie können sich aus sich selbst heraus entfalten (evolvable hardware), sie werden elastisch, unbeschränkt und unbegrenzt in ihren Möglichkeit aufgrund hochkomplexer Verschaltungen werden. Darüber hinaus wird unterstellt, dass sie zu autonomen, nicht länger zentral gesteuerten und kontrollierten Aktionen in der Lage seien und überhaupt eine Offenheit und Durchlässigkeit aufzeigen würden, die unvorhersehbare Entwicklungen ermögliche. Die Nachteile derartiger Maschinen bestünden vor allem in ihrer mangelnden Kontrollierbarkeit, der Unvorhersagbarkeit ihrer Aktionen und der Nichtdeterminiertheit der jeweiligen Abläufe. Wenn Technologie all diese Eigenschaften aufzeige, dann werden wir, so zumindest die Vision von Kelly, eine neo-biologische Zivilisation haben. Kellys Auffassung nach zeigen sich bereits erste Anzeichen einer solchen Entwicklung. Wenn diese weiter fortschreitet, wie Kelly, aber auch andere erwarten, dann zerflösse die Grenze zwischen künstlichen und natürlichen Systemen, dann zeige Technik Eigenschaften, die traditionell der Natur zugeschrieben wurden: »neo-biological culture welds engineered technology and unrestrained nature until the two become indistinguishable« (Kelly 1995, S. 606).
Diese etwas wahnwitzig klingenden und mit prophetischem Eifer vorgetragenen Ausführungen ließen sich ja möglicherweise mit einem überlegenen Lächeln beiseite schieben, fänden sich nicht auch an anderer, ernstzunehmender Stelle, etwa im Kontext der so genannten Artificial Life-Forschung ähnliche Zielvorstellungen. Die Zielsetzung dieser Forschungsrichtung ist die Erforschung und Entwicklung von Systemen, die charakteristische Verhaltensweisen natürlich lebender Systeme aufweisen sollen (vgl. etwa Steels 1995, Harvey 1994, Di Paolo 1999, Lemmen 1998). In Anlehnung an die Wirkungsweise und den Aufbau natürlicher Organismen werden autonome Artefakte konstruiert, die sich in natürlichen Umwelten eigenständig zurechtfinden und in Anpassung an die jeweiligen Bedingungen komplexe Eigenschaften herausbilden sollen.
Trotz ihrer unterschiedlichen Akzentuierungen scheint die oben genannten Autoren die Auffassung zu einigen, dass Leben als Eigenschaft bestimmter Organisationsformen zu deuten ist und sich nicht als intrinsische Eigenschaft von Materie auffassen lässt. Da die Selbstorganisation und Selbststeuerung der jeweiligen Systeme als wesentliches Kriterium solcher als lebendig bezeichneten Organisationsformen gilt, deutet das bereits in Ansätzen beobachtbare autonome, selbst organisierte Verhalten von Artefakten (beispielsweise Roboter, die sich selbst bewegen und selbst steuern können) darauf hin, dass die klassischen Unterscheidungen zwischen natürlichen und künstlichen Systemen zunehmend obsolet werden und die Frage nach der Eigenart des jeweiligen materiellen Substrats zunehmend zur Frage nach der Spezifität von Organisationsstrukturen wird.
Welche Hoffnungen werden nun mit diesen, die Dichotomie von Natürlichem und Künstlichem betreffenden Auflösungserscheinungen bezüglich einer Neudeutung von Körperlichkeit und Identität verknüpft? Das Spektrum entsprechender Visionen ist weit: Es reicht von eher nüchternen Einschätzungen bis hin zu vollkommen überzeichneten Träumen eines frei schwebenden, körperlosen Geistes, der sich der Widerständigkeit seines natürlichen Substrates endlich entledigt hat.
2.4 Übergänge und Übertreibungen: Visionen des Transhumanismus
Die sich hier andeutenden Übergänge zwischen Natürlichem und Künstlichem ermöglichen interessante Neudeutungen von Körper und Identität, stellen sie doch jahrhundertealte Dichotomien in Frage und geben Raum für Überschneidungen und Unschärfen. Haraway spricht in diesem Zusammenhang von Rauschen, von Verschmutzung, von Akzeptanz einer fluktuierenden, niemals eindeutig zu identifizierenden Differenz (statt Dichotomie). Sie konstatiert im Kontext von Hochtechnologie eine Durchmischung und Vernetzung öffentlicher und privater Räume, organischer und technischer Prozesse sowie virtueller und realer Phänomene. »Im Verhältnis von Mensch und Maschine ist nicht klar, wer oder was herstellt und wer oder was hergestellt ist. Es ist unklar, was der Geist und was der Körper von Maschinen ist, die sich in Kodierungspraktiken aufläsen« (Haraway 1995, S. 67). Die Tendenz der Durchmischung von Technischem und Organischem ist nun aber kein Novum. Bereits mit der Prothesentechnik drang die Maschine in den Körper, wurden technische Artefakte zu Teilen des Körperschemas. Andererseits erfolgte mit dem Jahrhunderte alten Versuch einer ›Beseelung‹ von Maschinen auch aus einer anderen Perspektive eine Annäherung oder Vermengung von Mentalem und Technischem. Heutige Entwicklungen verstärken diese Tendenz, da Maschinen immer mehr zu Teilen unserer Verkörperung werden. Zudem zeigen Maschinen, indem sie autonom und selbst reguliert agieren, immer häufiger Charakteristika von Organischem auf. Entsprechend ist die ohnehin problematische Aufrechterhaltung des traditionell als ontologisch gedeuteten Unterschieds von Technischem und Organischem immer weniger plausibel. Haraways Auffassung nach eröffnet der gegenwärtig sich abzeichnende Zusammenbruch der klassischen Dichotomien eine Abkehr von herkömmlichen Herrschaftsstrukturen und die Eröffnung »neuer möglicher Geometrien« (S. 63). Durch die Verschmelzung von Technischem und Organischem, Menschlichem und Maschinellen würden, so Haraway, neue Identitätskonzepte denkbar, die Identität eher als spielerisch-situative Ausformung begreifen würden, statt eine eindeutig festgelegte Zuschreibung zu unterstellen. Damit ließe sich vor allem das Geschlechterverhältnis neu deuten, weil es Übergänge und Übertragungen ermögliche, die klassische Zuschreibungen (natürlich = passiv = weiblich, Kultur/Technik = aktiv = männlich) überwinden helfe. Dieses Aufbrechen der traditionellen Dualitäten von Natur/Kultur-Technik, Passiv/Aktiv, Körper/Geist, Frau/Mann, Andere/Selbst kann auch unter Bezugnahme auf phänomenologische Perspektiven zu Neudeutungen von Körperlichkeit und Identität führen, wie im folgenden Abschnitt darzulegen sein wird.
Die bei Haraway nachvollziehbaren Plädoyers für eine Durchbrechung dieser traditionellen Dichotomien, die Anlass geben, über Körper und Identität in neuer Weise nachzudenken, führen jedoch an anderer Stelle zu absurden Überzeichnungen. Die so genannten Extropiker, die mit ihren Visionen gleichermaßen ansetzen bei der Verschmelzung technischer und organischer Phänomene, entwickeln weitreichendere Perspektiven einer möglichen Verschmelzung von Körper, Bewusstsein und Technik. Dabei steht vor allem die Fragilität des natürlichen Körpers zur Disposition, der zwecks kontrollierter Verfügbarmachung technisch umgeformt oder gar überwunden werden soll: »Wir sehen ›Uploading‹ als das möglicherweise letzte Stadium dieser posthumanen Synthesis..., also den Transfer der Persönlichkeit und des Bewusstseins vom natürlichen biologischen Gehirn zu einem synthetischen, nicht-biologischen Apparat« (More 1998, S. 336). Ziel ist, durch die Übertragung der geistigen Prozesse auf einen Computer die Beschränkungen des physikalischen Körpers zu überwinden. Um eine derartige Kontrolle über die sich immer wieder als widerständig zeigende eigene Materialität zu gewinnen, zielt die extropianische Bewegung auf eine Synthese von Organischem und Technischem. Dies erfolgt mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen. Einerseits wird die technologische Erweiterung unserer Sinne propagiert , so dass es zu einer Vertiefung unseres sinnlichen Kontakts mit der Welt durch Technik kommen könne. Andererseits jedoch soll der Körper quasi überwunden werden, indem geistige Prozesse auf Datenbanken abgespeichert werde sollen, um der Dysfunktionalität und Fragilität des Körpers die Funktionsfähigkeit der Technik entgegenzusetzen (Moravec 1998)
Interessant ist, dass insbesondere Max More (1997) immer wieder einen Aspekt ins Spiel bringt, der ein Hauptmotiv jener extropianischen Träume zu sein scheint: die Selbstkontrolle, nicht nur im Sinne einer bewussten Gestaltung seiner psychischen Eigenschaften, sondern vor allem Selbstkontrolle im Sinne der Manipulation und Domination der eigenen Materialität. Die Kombination neuerer Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit technischen Systemen, die eine Erweiterung und Verlagerung unserer Sinneswahrnehmung nach Innen ermöglichen sollen, diene dazu, so More in bezeichnender Klarheit, »ein bislang unbekanntes Bewusstsein unserer Selbst und eine mächtige Selbstkontrolle« (More 1998, S. 344) erlangen zu können. Diese Zielsetzung ist natürlich aufschlussreich. Statt nämlich der Offenheit, Unvorhersehbarkeit und Fluidität von neuen Technik- Organismus- und Selbstkonzepten Raum zu geben, werden alte Kontrollphantasien perpetuiert und auf die eigene Materialität übertragen. So träumt More darüber, dass wir »Materie wie Software programmieren können« und dass alle »Objekte der physischen Welt sukzessive Eingang fänden in jene konstruierten und manipulierbaren (sic!) virtuellen Welten« (More 1998, S. 347). Entsprechend wird die Rolle von Technologie vor allem darin gesehen, »to transcend ›natural‹ limits imposed by our biological heritage, culture and environment« (More 1997, S. 2). Dazu gehört die Suche nach biologischen und neurologischen Erweiterungen des Selbst, etwa durch »neurochemical enhancers, computers and electronic networks, intelligent agents...mediation and visualization techniques«, um durch Überschreitung unserer biologischen Grenzen zu einer neuen Identität zu finden (More 1997, S. 3). Es ist weniger die Kontrolle der Anderen, die mit entsprechenden Techniken realisiert werden soll als vielmehr die kontrollierte und erwünschte Transformation des eigenen Selbst, die hier angestrebt wird. Die technologisch untermauerte Transformation der eigenen Identität könne sich, so More, der Genmanipulation, der elektronischen Medien, der Biotechnologie, der molecularen Nanotechnologie, der Artificial Life-Forschung etc.. bedienen, um die gewünschten Effekte zu garantieren. Die Idee einer technologisch realisierten Selbst-Lenkung und Selbst-Kontrolle kann demnach gewissermaßen als Leitmotiv all jener Transformationsphantasien gelten: »We must first create a clear sense of self then implement that vision in action by excercising self-control« (More 1997, S. 5).
Während sich Visionen eines kontrollierbaren Selbst ohne lästigen Körper durchaus auch bei jenen Autorinnen und Autoren finden lassen, die von virtuellen Identitäten im Cyberspace als befreiter Form von Subjektivität träumen, stellt sich für die Extropianer zusätzlich die Frage nach der Kontrollierbarkeit und Wandelbarkeit der widerständigen eigenen Materialität. Dies offenbart sich insbesondere in den Vorstellungen über Materie und Materialität, die diesen Visionen technologisch untermauerter Selbstverwandlung zugrunde liegen: Materie gilt als »leblos« (Moravec 1998 S. 322), beliebig formbar, träge; als technisch verfügbar zu machendes Substrat, das zunehmend in Computerelemente verwandelt werden sollte. Entsprechend findet sich auch die Vision, der zufolge »physische Aktivität nach und nach zu rein geistiger Aktivität transformiert werden« könnte (Moravec 1998, S. 323). Die Annahme, der zufolge Materie als modfizierbarer Code oder gar als Programm gedeutet wird, verdeutlicht also ebenfalls den Traum einer beliebigen Gestaltbarkeit des eigenen wie fremden materiellen Substrats.
In der zugespitzten Vision wird dann unser Gehirn, vom Körper befreit, in künstliche Hardware transplantiert, um uns gegenüber den technischen Artefakten konkurrenzfähig zu halten. Der als schwerfällig, anfällig und lästig wahrgenommene physikalische Körper mit seinen störenden Bedürftigkeiten soll ersetzt werden durch eine fragmentierte Simulation, durch die kontrollierte Vermittlung von Sinneseindrücken und Bewegungsillusionen, die dem transplantierten Bewusstsein, dem reinen Geist, dann je nach Bedarf zugeschaltet werden.
Fassen wir an dieser Stelle zusammen: Virtuelle Identitäten und Körpersimulationen im Cyberspace, die Konzeption biologischer Maschinen, die anvisierte Programmierung und Modellierung des biologischen Substrats, transhumanistische Träume eines kontrollierten, technisch transformierten Selbst, es lässt sich bei aller Unterschiedlichkeit und trotz aller divergierenden Radikalität derartiger Visionen ein generelles Leitmotiv aufspüren, welches in den Vorstellungen der Transhumanisten zwar am stärksten zum Ausdruck kommt, sich jedoch auch in den moderateren Träumen über Cyber-Personalities und postbiologische Epochen (Ascott 1994) wieder findet: Die Abkehr von der Widerständigkeit der eigenen Materialität durch ihre Ausblendung und Überwindung, um auf diese Weise eine vollständige Kontrolle über das eigene Selbst und die eigene Materialität zu gewinnen, die sich als Fremdes, Unverfügbares im Eigenen der (technologischen) Verfügbarmachung auf subtile Weise doch immer (noch) entzieht.
2.5 Diskurstheoretische Verkürzungen
Nun ist es ja nicht so, dass Träume über eine mögliche Abspaltung des Geistes von der widerständigen Körperlichkeit völlig neu wären. Über Jahrhunderte hinweg wurden in unterschiedlicher Form Visionen eines reinen Geistes entwickelt, der sich der Unverfügbarkeit der eigenen Materialität zu entledigen suchte.
Die Negation des Körpers wurde nicht nur durch die cartesianische Abspaltung des natürlichen Substrats vom Intelligiblen zu einem wesentlichen Moment moderner Subjektkonzeption, was in verschiedenster Gestalt seine Fortsetzung bis zu heutigen kognitivistischen Konzepten fand (vgl. Becker 1998). Sondern in anderem Gewand erfolgte eine ebensolche Ausblendung der eigenen Physikalität in jenen diskurstheoretischen Deutungen des Körpers, wie sie in der Debatte zur Postmoderne ebenso sich finden lassen als auch in feministischen Diskussionen zur Differenz von sex und gender. So lassen sich latent Beziehungen herstellen zwischen einer, etwa bei Butler vollzogenen Reduktion von Körperlichkeit, der zufolge diese sich vornehmlich als Effekt von spezifischen Diskurspraktiken deuten lässt und einer parallel stattfindenden, wenn auch nicht notwendigerweise damit verknüpften technologisch untermauerten Absage an die Eigendynamik körperlicher Materialität. Wenn Butler von einem »Prozess der Materialisierung« spricht, »der im Verlauf der Zeit stabil wird und (der) den Effekt von Fixiertheit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen« (Butler 1991, S. 67), dann zeigt sich eine ungewollte Verbindung zu jenen Utopisten, die Materie als Resultat technologischer Transformation oder epochenspezifischer Zuschreibungen begreifen. Zwar möchte auch ich essentialistisch oder gar fundamentalistisch angehauchten Positionen eine klare Absage erteilen, um nicht in traditionelle Letztbegründungsfallen zu tappen , doch scheint es mir allzu verkürzt, den Körper in seiner je eigenen Physikalität zu ignorieren. Bei genauerer Lektüre von Haraway und Butler wird zudem deutlich, dass die Eigendynamik der körperlichen Materialität hier durchaus auch konstatiert wird: Körperliche »Materialität (kann) nicht lediglich als Effekt ausschließlich sprachlich vermittelter Praktiken erklärt werden« (Haraway 1995, S. 14). Hier wird eingestanden, dass der Körper in seiner je spezifischen Erscheinungsform zwar sozial konstruiert, jedoch an der Spezifität seiner Konstruiertheit aktiv beteiligt ist. Die Eigenständigkeit und formierende Kraft der eigenen Physikalität wird also nicht vollständig geleugnet.
Dieses hier in Ansätzen entwickelte Argument möchte ich im Folgenden aufgreifen und weiterentwickeln. Durch Bezugnahme auf im Wesentlichen phänomenologische Positionen wird aufgezeigt, in welcher Weise die Eigendynamik der Materialität des eigenen Körpers das Verhältnis von Mensch und Umwelt prägt und auch nachhaltigen Einfluss hat auf die Konzeption von Identität.
3. Anerkennung von Differenz: Fremdheit im Eigenen und Fremdheit des Anderen
In ihrem Buch »The Body of Gender« schreibt Marie-Luise Angerer (1995) zu Recht, dass die Frage nach dem Subjekt und seinen Identitäten angesichts virtueller Welten und technologischer Transformationen »die um seine Materialität nicht umgehen« kann (S. 22). Anknüpfend daran wird im Folgenden vornehmlich die Frage gestellt, in welcher Weise Identitäten trotz ihrer diskursiven Prägung mit der Eigendynamik von Materialität konfrontiert werden, sei es über den eigenen Leibkörper, sei es über die Materialität der Dinge und die Physikalität der Anderen. Dazu erscheint es sinnvoll, in einem ersten Schritt einen Blick auf den eigenen Körper zu richten, um von da aus unseren auch körperlich sich vollziehenden Kontakt mit Umwelt und Mitwelt zu explorieren. Ein solches Unterfangen sieht sich zunächst dem Problem ausgesetzt, beim Reden von DER Materie, DEM Körper, DER Natur in »universalistische Meisterinnenerzählungen« zu verfallen (Angerer 1995, S.25). Es kann zudem den Anschein erwecken, durch Berücksichtigung des materiellen Substrats von Identitätsbildungen in essentialistische Positionen zurück zufallen. Natürlich gibt es DIE Materie und DEN Körper nicht. Aber in aller Unterschiedlichkeit unserer je gegebenen und je spezifisch konstruierten Beschaffenheit scheint es doch ein materielles Substrat zu geben, das sich als eigen-mächtig gegenüber Konstruktions- und Transformationsbemühungen darstellt, das also gewissermaßen einen Eigen-Sinn zeigt. Diesen Vorrang des Objekts (Adorno 1990) gilt es wieder einzuklagen gegen eine ausschließliche Textualisierung des Körpers. Denn dieser setzt seiner begrifflichen und diskursiven (Ver-)Formung eine Widerständigkeit entgegen. Entsprechend sollte die berechtigte Historisierung und Kontextualisierung von körperlicher Materialität und das Aufzeigen ihrer gesellschaftsspezifischen Konstruiertheit nicht zur völligen Ausblendung des »Dinges an sich« (Gransee 1998 S. 129) führen. Es hat nämlich den Anschein, als würde in den technologisch untermauerten Transformationsphantasien von Cybernauten, Transhumanisten und Postbiologen die alte Hierarchie des Begriffs gegenüber der Sache bzw. die Dominanz des Diskursiven gegenüber dem Organischen erneut aufgerollt. Die Tendenz, das Materielle, Organische nur noch als Code und den Körper lediglich als Text zu lesen, perpetuiert solche alten Ungleichgewichte. Daher soll im Folgenden ein Plädoyer erfolgen für die Wahrnehmung und Anerkennung »eines materialen Etwas, was sich nicht in Diskursivität aufläsen lässt.« (ebda, S. 134)
3.1 Leibkörper: An der Schwelle zwischen Natur und Kultur
Innerhalb der phänomenologischen Tradition, ob durch Merleau-Ponty, Plessner oder aber Waldenfels ins Spiel gebracht, ist immer wieder auf die eigentümliche Doppelgestalt des Körpers verwiesen worden. Ob als subjektiv erlebbarer Leib oder als distanziert zu beschreibender physikalischer Körper, der Leibkörper tritt immer in einer Zwiegestalt auf, die ihn zu einer Umschlagstelle von Kultur und Natur macht. Der Leibkörper ist immer gleichzeitig Außen und Innen, Fremdes und Eigenes, und ermöglicht Schwellenerfahrungen am Übergang zwischen Bestimmbarem und Erlebtem, zwischen Blindheit und Sichtbarem, zwischen Drinnen und Draußen. In dieser Zwiegestalt offenbart sich der Leibkörper als responsive Instanz, die auf eine Durchmischung verweist, derzufolge er immer gleichzeitig Eigenes und Fremdes ist, niemals vollständig verfügbar, weil er als Instanz ständiger impliziter wie expliziter Resonanz auf die Aufforderungen der Umwelt und Mitwelt zu deuten ist. Als solche zeigt der Leibkörper eine eigene Sprache, ein »enaisthetisches Sprechen« (Waldenfels 1999, S. 12), das sich unterscheidet von der uns verfügbaren Sprache und somit auf fremde Dimensionen der Sinnproduktion verweist. So bringt der Leibkörper beispielsweise im Rhythmus und Klang der Stimme, die niemals ganz eigene, sondern immer auch fremdes Gegenüber ist, eine Unruhe ins Spiel, die aus der Spannung von Natürlichem und Künstlich-Kulturellem, Nähe und Ferne, Eigenheit und Fremdheit resultiert und auf seine mangelnde Verfügbarkeit verweist.
Im Gegensatz zu Sartre's Unterscheidung von corps sujet und corps objet sowie Plesssners Differenzierung zwischen Leibsein und Körperhaben, wo die alte cartesianische Dichotomie noch durchschimmert, erscheint bei Merleau-Ponty und Waldenfels der Leibkörper in seiner unverfügbaren Doppelgestalt, die auf die Durchmengung von Heteronomem und Autonomem, Fremdem und Eigenem verweist (vgl. auch Meyer-Drawe 1990). Der Leibkörper befindet sich immer an der Schwelle zwischen Natürlichem und Künstlichem, Aktivem und Passivem, Entstandenem und Hervorgebrachtem. In der körperlichen Bewegung zeigt sich diese Doppeldeutigkeit ebenso wie beispielsweise im Prozess des Einschlafens. Diese Vorgänge finden gleichsam außerhalb von uns statt und sind doch von uns selbst erlebt. Die damit einhergehende Dezentrierung des klassischen Subjekts, das als Souverän über seine Handlungen gedeutet wurde und als solches in manchen technologischen Übermachtsphantasien wieder aufzuerstehen scheint, findet sich bereits begründet durch die Inblicknahme der leiblichen Welteinbettung und die Zwiegestalt des Leibkörpers. Die hier zu Sprache kommende innere Differenz, die aus der »Leibferne des Denkens und der Denkferne des Leibes« (Waldenfels 1999) resultiert, verweist weniger auf eine innere Spaltung, die nicht zu überwinden wäre, sondern vielmehr auf eine Zwiegestalt, eine Schwellenexistenz, durch die wir als gleichermaßen natürliche und kulturelle Wesen gekennzeichnet sind.
Im Verweis auf die Zwiespältigkeit einer sowohl Innen wie Außen sich konstituierenden und konstituierten Identität deutet sich eine Nähe zu einigen Überlegungen von Donna Haraway an. Die von ihr im Kontext neuer Technologien konstatierte Auflösung der Dualität von Aktion und Passion und die Vermischung von natürlichen und künstlich/technischen Prozessen erfolgt nicht erst mit der Entstehung von biologischen Maschinen oder virtuellen Körpern, sondern dieser Chiasmus (Merleau Ponty 1986) von Aktion und Passion, Natur und Kultur ist dem Leibkörper gewissermaßen inhärent (Meyer 1992). Denn dieser ist immer gleichzeitig erleidende und handelnde Instanz, weil der Leibkörper in seinen Aktionen immer schon auf implizite Angebote der Umwelt re-agiert, von diesen also in seinem (fälschlicherweise als autonom unterstellten) Verhalten bestimmt ist. Diese Responsivität des Leibkörpers verweist demnach auf die Notwendigkeit, die begrenzte Verfügbarkeit der eigenen Materialität, die gleichzeitig Fremdes und Eigenes, Ferne und Nähe markiert, ebenso anzuerkennen wie die begrenzte Verfügbarkeit des jeweiligen Gegenüber.
3.2 Der Chiasmus von Aktion und Passion
Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass der Leibkörper eine generelle Durchmischung von Aktion und Passion impliziert (Waldenfels 1990): Wir berühren und werden berührt; wir handeln, wobei unser Leibkörper auf die stummen Angebote der jeweiligen Umwelt und Mitwelt antwortet. Und ebenso ist auch das Gegenüber stets agierend und reagierend in Einem. Diese leibliche Einbettung in die Welt, durch die wir als Menschen gekennzeichnet sind, verweist darauf, dass wir uns stets in einem Dialog mit der Welt befinden, da diese Richtungen vorschreibt und indirekte Anreize und Aufforderungen gibt (vgl. Meyer-Drawe 1990). Der implizite Wirkungs- und Aufforderungscharakter des jeweiligen Gegenüber zeigt, dass sich Handlungen nicht alleine auf pure subjektive Intentionen zurückführen lassen und Wahrnehmung immer schon in eine bestimmte Richtung gelenkt ist. Wir reagieren auf die impliziten Angebote des Anderen, sei dies nun ein Gegenstand, der durch seine Textur, seine Form, seine Gestalt bereits bestimmte Handlungen nahe legt und andere wiederum ausschließt, oder aber ein anderes Gegenüber, auf dessen fragende Haltung und dessen implizite Angebote wir re-agieren.
Zur Illustration dienen folgende Beispiele: Künstler wie etwa der Komponist Pierre Boulez (1977) oder der Komponist John Cage (1990) sprechen ebenso wie philosophische Theoretiker der Ästhetik (Adorno 1973), immer wieder von der Eigendynamik des künstlerischen Materials, die auf die Widerständigkeit und Eigenheit der Welt verweist, über die das intentionale Subjekt nur begrenzte Kontrolle gewinnen kann. So hat eine Bildhauerin zwar eine bestimmte Idee, wie eine geplante Skulptur aussehen soll, doch wird sie durch die spezifische Materialität oder Widerständigkeit des Steines in bestimmte Richtungen bei der Ausführung ihrer Absicht gelenkt. Sie tritt in ein Wechselverhältnis mit der Welt bei der Bearbeitung des Steines, weil dieser ihr bestimmte Handlungen nahe legt, andere wiederum ausschließt. Ähnlich ist es bei der musikalischen Improvisation: die Musiker reagieren auf die Atmosphäre im Raum, die sie ebenso sehr selbst erzeugen, wie sie vom Publikum und der Wirkung ihrer Instrumente geschaffen wird. Musiker und Umwelt treten in ein Wechselverhältnis, in dem keiner mehr bloßes Agens oder Re-agens ist, sondern wo sich die gelungene Improvisation durch Offenheit und Durchlässigkeit auszeichnet. Gerade die künstlerische Tätigkeit erweist sich so als Wechselspiel zwischen subjektiver Intention und EIGEN-SINN des Materials oder Milieus.
Hier lassen sich noch weitere Beispiele anfügen: In der Performance von Marionettenspielern tritt der oben skizzierte Dialog zwischen dem Eigenem und dem Fremden erneut zu Tage: Es ist weniger so, als kontrollierten die Marionettenspieler bewusst jede Bewegung der Puppe, vielmehr scheinen sie eher den Bewegungen der Puppen zu folgen. Es ist ein Tanz, ein Dialog, der sich im konkreten Wechselspiel zwischen der Person und dem Ding entwickelt. Auch hier verschwimmt die Grenze zwischen Intention und Effekt, zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen dem Körper und dem Artefakt. Die Durchlässigkeit und Verschränkung zwischen Natürlichem und Künstlichem/Kulturellem lässt sich also bereits vor aller technologischen Innovation und deren Überhöhung beobachten. Er offenbart sich bei jedem Werkzeuggebrauch, wo das Artefakt die leiblichen Bewegungen beeinflusst, durch Schwere und Dichte, Größe und Form seiner jeweiligen Gestalt. »Ziele werden ausgehandelt im leiblichen Umgang mit Geräten, die weder zu einer vollkommenen Beherrschung des Instruments durch den Menschen noch zu einer Unterwerfung des Menschen unter die Möglichkeiten des Instruments führen« (Waldenfels 1999, S. 51). So lässt sich beispielsweise beim einfachen Vorgang des Hämmerns ein solcher Dialog zwischen Mensch und Werkzeug beobachten, da hier der Leibkörper seinen Rhythmus ins Spiel bringt, dieser sich aber wiederum bricht an der Schwere und Größe des jeweiligen Hammers. Leibkörper und Ding treten demnach in eine Wechselbeziehung – es ist ein responsives Geschehen, das sich hier andeutet und das nicht auf die reine, bewusste Intention des je Handelnden zu reduzieren ist.
Nimmt man aber dies zur Kenntnis, dann wird deutlich, in welcher Weise die Materialität des Leibkörpers indirekt und lateral die Wahrnehmung und Gestaltung unseres Verhältnisses zur Um- und Mitwelt gestaltet, wie aber auch andererseits das jeweilige Objekt oder Gegenüber eigene Akzente setzt und zu spezifischen Aktionen implizit auffordert. Fremdes und Eigenes sind so im Sinne eines Chiasmus (wie dies der späte Merleau-Ponty beschreibt) miteinander verflochten. Denn nur in der spezifischen Reversibilität, durch die sich das wechselseitige Übergreifen von Natur, Sozialität und Geist ausdrückt, entstehen Bedeutungsgefüge, deren wir uns allemal partikular und zudem gegenüber dem konkreten Erleben und Tun stets verspätet bewusst werden können. Die Schwellenexistenz des Leibkörpers verweist also ebenso wie der Kontakt mit einem konkreten Objekt auf ein »materiales ›Etwas‹, was sich nicht in Diskursivität aufläsen lässt« (Gransee 1998, S. 134). Denn trotz aller textlichen und kulturellen Bestimmtheit läsen sich weder der Gegenstand noch der Leibkörper in ihrer begrifflichen Bestimmung auf (Adorno 1990, S. 184).
3.3 Vermeidung von Berührung: Ausblendung der Andersartigkeit des Anderen
Diese Fremdheit des Anderen, von dem die eigenen Intentionen und Handlungen stets durchdrungen sind, wird besonders offensichtlich, wenn wir uns die Berührung, den Vorgang des Tastens vergegenwärtigen. Sennett (1998) verweist auf die Widerständigkeit, die uns die leblosen physischen Objekte entgegensetzen, wenn wir konkret mit ihnen in Berührung treten. »Ausdruck entsteht, wenn Menschen sich mit den Widerständen der realen Welt auseinandersetzen; dann geraten wir mit der Welt in Berührung, erfassen sie buchstäblich in all ihrer Rauheit, Härte und Schwierigkeit« (Sennett, ebda, S. 483). Diese Widerständigkeit der physikalischen Welt wird in den neuen Visionen von Cyber-Existenzen und einer postbiologischen Ära ausgeklammert. Die unproblematische Handhabbarkeit, die Bedienbarkeit und die Kontrollmöglichkeit sind Ansprüche an den technologisch dominierten Umgang mit der Welt, der uns nicht länger in Berührung treten lässt mit der konkreten Materie. Diese Loslösung vom Physischen durch die mediale Vermittlung des Kontakts mit der Welt und die damit einhergehende Vermeidung von direkter Berührung erhöhen die Macht des Subjekts. Dieses schwingt sich in solipstischer Weltabkehr auf zum Beherrscher einer Welt, die vornehmlich als medial vermittelte oder als diskursive Konstruktion in Erscheinung tritt. In dieser Form erweist sie sich als verfügbar, weil die im konkreten Kontakt spürbaren Dissonanzen und Mehrdeutigkeiten verleugnet werden können. »Die physische Welt ist schwer zu manipulieren... In der virtuellen Welt gelten andere Regeln. Wir selbst setzen sie und können sie verändern, wie es uns beliebt« (More 1998, S. 345). Als Konsequenz solcher Ausblendungsstrategien finden wir die Konstruktion beliebig manipulierbarer Welten und Artefakte und einen Rückzug auf die imaginären Räume des eigenen Selbst, das in einem, die eigene wie fremde materielle Widerständigkeit ausklammernden Fehlschluss als verfügbares Eigenes gedeutet wird. »Der Verzicht auf körperlichen Kontakt (mit dem Anderen) dient der Stimulierung der inneren Empfindungen« (Sennett 1998, S. 489), da in der individuellen Imagination die Berührung des Anderen vermieden wird, die Stellungnahmen herausfordern und variierende Positionierungen implizieren würde (vergl, Waldenfels 1998).
So führt die Abkehr von der Widerständigkeit der eigenen und fremden Materialität zur Dominanz des Subjektiven und seiner imaginären Welt. Der dissonante Lärm einer nicht auf diskursive Konstrukte zu reduzierenden materiellen Welt, die spannungsreiche Andersartigkeit des Nicht-Eigenen, werden zunehmend ausgeblendet zugunsten einer solipstischen Innenwendung, verbunden mit der Illusion, zumindestens dies vermeintlich ›Eigene‹ kontrollieren zu können. Davon geben die oben zitierten Visionen einer technologisch untermauerten Selbststeuerung (More 1997), eines körperlosen Selbstdesigns (Moravec 1998) und eines freien Selbstentwurfs (Turkle 1995) in je unterschiedlicher Akzentuierung Auskunft.
Aber es ist nicht nur die Fremdheit und Unverfügbarkeit der eigenen Materialität des Leibkörpers sowie die Widerständigkeit von Objekten, die im Umfeld neuer Technologien immer wieder ausgeblendet oder umgedeutet werden, es ist auch die Andersartigkeit und Unverfügbarkeit des Anderen, des jeweiligen Gegenüber, das in derartigen Visionen eliminiert werden soll. Da die konkrete Materialität eines jeweiligen Gegenüber (sein Geruch, der Klang der Stimme, seine irritierende physische Präsenz) in seiner Andersartigkeit das empfindliche Gleichgewicht einer Person stören könnte, muss der Andere integrierbar werden in das eigene Weltmodell. Zizek (1995) benutzt zur Charakterisierung derartiger Ausblendung und Integrationsbemühungen den Begriff des pathologischen Narziss, der in unendlicher Selbstumkreisung das Andere des Anderen zum Eigenen machen muss. Der Andere, als lediglich noch symbolisch repräsentierter Körper, tritt in seiner Differenz und irritierenden Fremdheit gar nicht zu Tage, weil er Produkt eigener Wahrnehmungen und Wunschvorstellungen bleibt. Im individuellen Reich der Phantasie und Imaginationen treten die Anderen somit vornehmlich als imaginierte Wunschvorstellungen und nicht in ihrer widerständigen materiellen Andersartigkeit in Erscheinung (vgl. Sennett 1998 a).
Cyberspace-Identitäten und postbiologische Subjekte stellen also nicht das Ende, sondern die Perfektionierung des cartesianischen Subjekts dar. Sie offenbaren einen überhöhten Solipsismus, weil alle Dimensionen des Widerständigen, verkörpert in der eigenen wie fremden Materialität ausgeblendet oder als manipulierbarer, den eigenen Wünschen entsprechend transformierbarer Code gedeutet werden. Die Vorstellung, dass die Menschen in nicht allzu ferner Zukunft fähig sein werden, die Verbindung zu ihrem Körper zu läsen und sich in geistesartige Wesen zu verwandeln, die frei von einem virtuellen Körper zum anderen schweben, erweist sich dann in zugespitzter Form als das Phantasma der vollständigen, kontrollierbaren Virtualisierung, in der das Subjekt endgültig vom »pathologischen Makel des objet petit a befreit wird« (Zizek 1995, S. 128).
Die Ausblendung der Andersartigkeit der Anderen, die Imagination eines Gegenüber, welches sich den eigenen Wünschen zu fügen scheint und einem Idealbild entsprechend konstruiert werden kann, ohne dass man mit der verwirrenden und letztlich auch bedrohlichen Dissonanz konfrontiert ist, die sich üblicherweise im konkreten Kontakt einstellt, diese Ausblendung des Anderen in seiner je unverfügbaren Materialität, scheint demnach höchst traditionelle Allmachtsphantasien und solipistische Identitätskonzepte erneut zu beleben.
4. Abschließende Bemerkungen
Wenn wir uns vor diesem Hintergrund die anfangs skizzierten Visionen von ›Postbiologen‹, Transhumanisten, und Cyborg-Visionisten nochmals vor Augen führen, dann wird deutlich, welche Motive hinter dem Drang nach Neudeutung oder Ausblendung der eigenen wie fremden Materialität hervorschimmern. Elisabeth List (1997) merkt zu recht an, dass die Cybervisionen zur prothetischen Umgestaltung, zur Virtualisierung und technologischen Transformation oder gar Abschaffung unseres Leibkörpers die Gefahr einer kollektiven Selbstabschaffung implizieren. Der Imperativ einer Kontrolle von Natur, der für unser technologisch geprägtes Weltverständnis seit jeher typisch ist, richtet sich nun – und auch dies ist letztlich nicht neu (vgl. etwa Horkheimer/Adorno 1986) – mit euphorisch verbrämten Befreiungsvisionen gekoppelt, gegen den eigenen Leibkörper. Visionen, denen zufolge der Körper als manipulierbare, transformierbare und letztlich zu verleugnende Dimension der eigenen Identität gedeutet wird, lassen sich unschwer mit Sichtweisen in Verbindung bringen, die neben aller fraglos zu konstatierenden Diskursivität und Konstruiertheit unserer Realitätsauffassung den Eigenanteil der Materie an dieser Realitätskonstruktion verkennen. In kritischer Distanzierung von entsprechenden Positionen soll hier mit aller gebührenden Vorsicht ein Plädoyer für die Anerkennung der Eigen-Dynamik und des Eigen-Sinns fremder wie eigener Materialität erfolgen, die gegenüber dem Übermächtigwerden der konstituiven Rolle von Sprache, Medien und Diskursen stets auch eigene Akzente setzt. Ohne in essentialistisch anmutender Radikalität den Vorrang des Objekts einklagen zu wollen oder gar von ›lebendiger‹ im Gegensatz zur bearbeiteten Natur sprechen zu wollen (Gransee 1998, Braun 1998), scheint es mir doch notwendig, alte Hierarchiechen zu vermeiden, die durch den gegenwärtig beobachtbaren Vorrang des Diskursiven (Geistigen) gegenüber dem Organischen (Materiellen) reproduziert und perpetuiert werden. Denn Adorno hatte Recht, wenn er darauf verwies, dass der Gegenstand, sei es der eigene Leibkörper oder ein bestimmtes Objekt, nicht in seiner begrifflichen Bestimmung aufgeht, weil Leibkörper und Objekte ein materialistisches Gegengewicht gegenüber dem Diskursiven setzen. So scheint es mir notwendiger denn je, die epochal jeweils spezifisch konturierte Verschränkung (Merleau-Ponty 1986), Vermittlung (Adorno 1990) und Reziprozität (Waldenfels 1994) von Natur und Kultur, Organischem und Technischem, sowie Materiellem und Geistigem in den Blick zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund das breite Spektrum der jeweiligen Sichtweisen einzuschätzen, bleibt dennoch schwierig. So deutet sich beispielsweise in Haraways Konzept eines situativ verankerten semipermeablen Selbst die oben skizzierte Durchmengung von Fremdem und Eigenem durchaus schon an. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn sie von einer »Logik der Durchlässigkeit« spricht und hervorhebt, dass das Selbst gegenüber dem Anderen sich nicht in einer Haltung der Verteidigung und Abwehr abgrenzt, sondern vielmehr ein partikulares Spiel solcher Abgrenzungen und eine ständige Fluktuation von Bindung und Auflösung zu beobachten ist. Hier ist eine Nähe spürbar zu den oben skizzierten phänomenologischen Deutungen von Leibkörper und Identität, die es weiter auszuloten gilt.
Vollkommen anders stellt sich jedoch die Situation dar, wenn wir uns postbiologische und transhumanistische Visionen sowie Cybernaut-Perspektiven vor Augen halten. Hier erfolgt eben jene bereits beschriebene solipsistische Abkehr von der Widerständigkeit der eigenen wie weltlichen Materialität. Konzepte wie Selbststeuerung, Selbstdesign und programmierte Biologie lassen klar erkennen, dass die Kontrolle dieser widerständigen Fremdheit ein wesentliches Leitmotiv entsprechender Entwürfe ist. Es ist aber nicht nur die Abkehr von der eigenen Fremdheit, die hier zu beobachten ist, sondern ebenso sehr die Vermeidung der Berührung mit der Fremdheit des Anderen, da die eigenen Intentionen und Bedürftigkeiten auf eine Unverfügbarkeit des anderen stoßen könnten. Mit dieser Abkehr von der eigenen wie fremden Andersartigkeit aber erfolgt eine Restituierung von Identitätskonzepten, die in Verkennung jener Verschränkung von Fremdem und Eigenem das Selbst wieder zum absoluten Souverän über die Welt und die eigene leibliche Existenz sich aufschwingen lassen. Es ist also keine Revolution, die mit derartigen Visionen einhergeht, sondern eher eine Rückkehr zu überkommenen Allmachtsphantasien, die in neuem, technologisch unterfüttertem Gewand mit oft befremdlichem Getöse die Szenerie betreten.
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Ein herzlicher Dank an Brigitte Bauer, Gerhard Eckel, Irmela Schneider und Josef Wehner für die kritische Lektüre des Textes sowie an Christoph Lischka und Manfred Meyer für eine jahrelange anregende Zusammenarbeit.